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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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zurückgelassen hatten, die mir eindrücklich geworden waren. Jede dieser Skizzen war nur ein, zwei Seiten lang, ich schrieb sie rasch auf, saß aber dann noch lange an jeder Manuskriptseite, strich aus und verbesserte, um den richtigen Ton zu treffen, und überarbeitete immer wieder diese winzigen Texte. Einige schrieb ich mehr als zehnmal, weil ich nicht zufrieden war. Schreiben fiel mir viel schwerer als Malen, es war ungewohnt, mir fehlte die Übung, ich suchte immer wieder lange nach Worten und schüttelte über mich selbst den Kopf, wenn ich minutenlang vor dem Blatt saß und zu keinem einzigen Buchstaben fähig war.
    Als ich ein Manuskriptbündel beisammen hatte, zeigte ich sie Gerda Heber, mit der ich als Illustratorin bereits sieben Bücher gemacht hatte. Sie schrieb mir einen langen Brief zu meinem Manuskript und lobte es, aber ich spürte, dass sie damit wenig anfangen und es sich als Buch in ihrem Verlag nicht vorstellen konnte. Sie bot mir an, die Blätter den Kollegen anderer Verlage zu zeigen, aber auchdiese Versuche blieben erfolglos. Man lobte meine Texte, bemängelte aber auch die Abwesenheit von Menschen, das vollständige Zurückziehen auf die Natur, ein Lektor nannte sie anspruchsvolle Prosagedichte, doch niemand wollte sich dafür einsetzen, sie als Buch herauszubringen, zumal es mit meinen Zeichnungen, Radierungen und Aquarellen sehr teuer werden würde. Ich ließ mich nicht entmutigen, sondern überarbeitete diese Impressionen immer wieder und schrieb neue, die Manuskriptmappe füllte sich langsam.
    Nachdem zum zweiten Mal eins der von mir illustrierten Bücher einen Preis in Prag und ein halbes Jahr später einen weiteren in Bologna bekommen hatte, zeigte ich Gerda Heber die neuen Texte. Sie sprach mit der Cheflektorin und schließlich versprach man, in zwei, spätestens in drei Jahren ein Buch mit meinen Texten und Bildern zu produzieren, man hoffe, einen Partner im Ausland zu finden, um mit einer parallelen Ausgabe die Kosten zu reduzieren. Mir war klar, dass weder der Verlag noch ich mit dem Buch etwas verdienen würden, aber an dieser Arbeit, an diesen kleinen Gedankensplittern und den dafür gemalten und gezeichneten Blättern, hing mein Herz. Ich hatte das Gefühl, dieses Buch könnte meine ausdrucksstärkste Arbeit werden, meine intimste.
    Nachdem Heinrich ausgezogen war, hatte ich das ganze Haus aufgeräumt. Das verschnürte Paket mit meinem weißen Bild kam mir unter die Augen, ich brachte es in mein Atelier, ließ es dort drei Tage stehen, bevor ich wagte, es zu öffnen. Ich hatte es mir fast zwanzig Jahre nicht mehr angesehen, ich glaubte, ganz genau zu wissen, was mich erwarten würde, wenn ich es aus der Verpackung holen würde, trotzdem zögerte ich. Mit dem Bild verband sich für mich viel, ohne dass ich sagen könnte, was. Als ich das Bild schließlich im Atelier aufhing, warich überrascht, enttäuscht und sehr zufrieden. Es machte mich wehmütig, denn das Bild zeigte einen Weg auf, den ich nicht gegangen, der mir verstellt worden war.
    Der weißen Landschaft gegenüber hing das große Ölbild von Sibylle, das ich in keine Ausstellung gegeben hatte. Es war elf Jahre später entstanden, und damals hatte ich beim Malen den Eindruck, mit diesem Bild an mein altes weißes Bild anzuknüpfen, aber nun, da ich die beiden Bilder gehängt hatte und vergleichen konnte, sah ich die Unterschiede.
    Das Porträt von Sibylle war akkurat, es hatte einen gelungenen Aufbau, es besaß Spannung, ihre Augen bildeten einen irritierenden Mittelpunkt, der den Betrachter in den Bann zog, die Farben waren sparsam, es gab keine grellen oder auch nur auffälligen Tupfer und Lichter, doch es war nicht monochrom. Irgendwie war das Bild gefällig, vielleicht weil ich es voller Liebe zu Sibylle gemalt hatte, was mir die Distanz genommen hatte. Es gab keinen Grund, mit dem Bild unzufrieden zu sein, aber ich wusste, dieses Ölbild hätte auch einem Freddy Waldschmidt gefallen. Die weiße Landschaft dagegen war eines meiner nicht gelebten Leben, Abbild meiner verlorenen Möglichkeiten. An diese Kunstform konnte ich nicht mehr anschließen. Der Faden war gerissen, diese Fantasie war in mir abgestorben, ich hatte damals zu wenig dafür gekämpft. Nun tat es körperlich weh, auf diesem Bild zu sehen, was ich einmal besessen und nun verloren hatte. Ich ließ die weiße Landschaft trotzdem im Atelier hängen, genau gegenüber dem Sibyllebild. Ein täglich ins Auge stechender Stachel.
    Meinen siebenunddreißigsten

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