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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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hielt sie bis zum Morgen im Arm.
    Heinrich hat nie wieder ein Wort über Kathi fallen lassen, und auch wenn ich allein oder mit Michael nach Berlin fuhr, sagte er nichts. Er tat mir leid, aber eigentlich verachtete ich ihn dafür. Ich empfand es als dumm und erbärmlich, dass er nicht einmal fähig war, darüber zu sprechen, was ihn ärgerte. Wieso sagte er nichts, wieso schwieg er bei einer Geschichte, wo ich an seiner Stelle explodiert wäre? Was war das für ein Mann, warum war er so jämmerlich und wehrte sich nicht? Statt ihn in mein Bett zu lassen, hätte ich ihn besser adoptieren sollen.
13.
    Ein Jahr später, im sechsten Jahr unserer Bekanntschaft, überraschte er mich eines Abends mit dem Vorschlag, wir sollten heiraten. Er hatte sogar Ringe gekauft, die er mir stolz präsentierte, und wollte, dass wir sie an diesem Abend einander anstecken sollten, um unsere Verlobung zu feiern. Ich schüttelte den Kopf, ich verstand ihn nicht. Ich konnte nicht begreifen, wie er auf einen solchen Einfall gekommen war. Er hielt selbstzufrieden die Ringe hoch und wartete auf eine Antwort, und ich sagte lediglich, er hätte sich diese Ausgabe sparen können, ich sei schon einmal verheiratet gewesen, und diese Erfahrung würde mir für das gesamte Leben reichen. Ich wollte ihn an diesem Abend provozieren, wollte, dass er einmal aussich herausgeht, dass er brüllt, aber Heinrich blieb auch an diesem Abend ein netter, etwas dicklicher, freundlicher Junge, der das Pech hatte, im falschen Film gelandet zu sein.
    Irgendwann im Verlaufe des Abends weinte er sogar, er heulte wie ein Schulbub und beklagte sich über mich, über meine Grausamkeit. An jenem Abend betrachtete ich mir sehr ruhig und genau den verzweifelten Heinrich und entschloss mich, unser Verhältnis zu beenden. Um ihn nicht zu zerstören, bemühte ich mich, es ihm behutsam beizubringen. Einen Monat lang zeigte ich mich spröde und unzugänglich, und an einem Samstag, mitten im schönsten September, bat ich ihn in meinem Atelier, er möge ausziehen. Ich sagte ihm, wir sollten uns eine Zeit lang trennen, ich benötige Abstand, ich bräuchte Distanz, um zu mir zu kommen. Mein Wunsch überraschte ihn nicht, er hatte diesen Abschied vorhergesehen. Er saß mir leichenblass gegenüber und fragte, bis wann er ausziehen und was mit seiner Werkstatt passieren solle.
    »Wenn du willst, kannst du deine Sachen …«, sagte ich, doch dann unterbrach ich mich nach einem kurzen Zögern. Mach Nägel mit Köpfen, sagte ich mir, es hilft dir nichts und ihm genauso wenig, wenn der Abschied ewig dauert.
    »Es wäre gut, wenn du die Werkstatt bald ausräumst. Schließlich brauchst du dein Werkzeug«, fuhr ich fort.
    »Es wird aber etwas dauern. Ich habe nämlich nichts, ich muss wieder von vorn anfangen und mir Räume suchen.«
    »Ich weiß«, sagte ich.
    »Das ist nun schon das zweite Mal, dass ich ein Haus wieder aufbaue und, wenn es fertig ist, ausziehen darf.«
    Er spielte auf eine frühere Beziehung an. Er hatte zwei Jahre mit einer Frau zusammengelebt, ein älteresFachwerkhaus hergerichtet und war nach dem Ende der Bauarbeiten ausgezogen. Sie hatte sich von ihm getrennt und ihn, wie er erzählt hatte, rausgeschmissen.
    Unwillkürlich musste ich lachen. »Darüber solltest du einmal nachdenken, Heinrich«, sagte ich, »sonst wirst du das noch ein drittes Mal erleben.«
    »Aber warum?«, fragte er, »warum? Es war doch alles wunderbar. Mit uns beiden und mit Michael.«
    Ich sah ihn an und überlegte. Was würde es helfen, wenn ich ihm den wirklichen Grund nennen würde, weshalb ich nicht länger mit ihm zusammenleben wollte?
    »Ich liebe dich nicht«, sagte ich, »und ich möchte, dass wir uns trennen, bevor ich dich hasse.«
    Nun war er es, der schwieg. Er schaute mich lange an, dann stand er auf und ging hinaus. Später hörte ich ihn räumen, er packte wohl seine Sachen zusammen. Am Abend war ich kurz davor, zu ihm zu gehen, ich ließ es aber bleiben.
    Zwei Tage später kam Michael in mein Zimmer. Heinrich hatte mit ihm gesprochen und mitgeteilt, er werde uns verlassen, und nun wollte der Kleine wissen, warum sein geliebter Heinrich geht.
    »Lasst ihr euch scheiden?«, fragte er ängstlich.
    »Wir sind nicht verheiratet«, sagte ich, und dann umarmte ich ihn rasch und entschuldigte mich für die törichte Antwort.
    Ich war mit Heinrich so viele Jahre zusammen, dass mir meine Bemerkung unpassend vorkam. Es fiel mir schwer, meinem Sohn die Trennung zu erklären. Dass ich ihn nicht mehr

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