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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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liebe, zählte für Michael nicht, er meinte, wir könnten doch einfach so weiter zusammenwohnen. Der Kleine war sehr unglücklich und ließ mich spüren, dass er mir die Schuld gab.
    Heinrich verließ uns bereits nach einer Woche. Er gingund überließ mir und Michael das Haus, ohne die geringste finanzielle Entschädigung zu fordern, obwohl er viel Zeit und Kraft hineingesteckt hatte. Ich hätte ihn gern ausbezahlt, aber dazu war ich nicht in der Lage. Ich war dankbar, dass er uns das Haus großzügig und ohne viel Worte vermachte. Einen Monat später kam er mit einem Lastwagen und räumte seine Werkstatt aus, so dass der zweite große Raum im Erdgeschoss leer stand.
    Ich fragte Michael, ob er in das Zimmer einziehen wolle, ich hatte gedacht, er würde es nutzen, um seine Schularbeiten zu machen und zu spielen, aber er zog auch mit seinem Bett dorthin, so dass ich das riesige Obergeschoss allein bewohnte. Vielleicht wollte Michael mich auf diese Weise bestrafen, aber vielleicht war es auch der Beginn der Pubertät. Mit Heinrichs Auszug hatte mein Verhältnis zu Michael einen Riss bekommen. Er ließ sich nicht mehr wie früher in den Arm nehmen, alles in ihm sträubte sich dagegen, er war verletzt, und er begann, sich abzunabeln.
    Wirklich zufrieden war ich nur während der Arbeit. Bei den Bildern hatte ich meinen Weg gefunden, ich hatte erreicht, dass man mich und meine Arbeiten akzeptierte. Meine Blätter und Leinwände stießen nicht auf Begeisterung, meine Bilder galten als zu spröde und düster, doch hin und wieder konnte ich sie ausstellen, zumeist gemeinsam mit einem oder auch zwei Kollegen. Ich fuhr dann mehrmals in die Galerie, zum Hängen der Bilder, zur Eröffnung und stets auch zur Finissage, und, wenn ich Zeit und Lust hatte, auch zwischendurch, um mir die Betrachter der Bilder anzusehen, sie zu beobachten, ihren Gesprächen zuzuhören. Diese Ausstellungen waren für mich wichtig, sie brachten mir weitere Kontakte, vor allem aber rissen sie mich aus meiner Einsamkeit. Mir wurde zunehmend bewusst, dass ich mich zwingenmusste, unter Menschen zu gehen, sie beunruhigten und ängstigten mich. Oder sie langweilten mich. Wenn ich allein in meinem Arbeitszimmer saß, über meine Blätter gebeugt, war ich zufrieden, und wenn Michael Zeit für mich hatte, war ich glücklich.
    Doch der Junge ging mittlerweile seine eigenen Wege, hatte Freunde gefunden, bei denen er gelegentlich übernachtete, er entzog sich mir, er entglitt mir, er hatte neuerdings Geheimnisse vor mir, über die er unter keinen Umständen mit mir sprechen wollte. Er begann sein eigenes Leben, und ich sagte mir, dass dies normal und richtig sei und ich ihn darin bestärken müsse, doch es tat mir weh, ihn zu verlieren. Ich gab mich Michael gegenüber burschikos und ermunterte ihn bei allem, was er vorhatte, aber innerlich vernahm ich den lauten und wehen Ton meiner Angst. Gelegentlich, immer seltener freilich, gab es Momente, in denen der Junge unerwartet zu mir kam, mich in den Arm nahm, mich zärtlich Mama nannte, etwas von sich erzählte oder einen Satz sagte, den ihm das Herz eingab.
    Mein vieles, mein allzu vieles Alleinsein beunruhigte mich. Ich bemerkte Veränderungen an mir, die mir nicht gefielen, die mich verstörten. Ich ging fremden Leuten aus dem Weg, vermied neue Bekanntschaften, zog mich zurück. Ich wurde menschenscheu, entwickelte mich wieder zu dem Schulmädchen, das ich einmal gewesen war, das sich am liebsten in sein Zimmer zurückzog, um dort ungestört zu lesen oder zu malen. Ich ärgerte mich über mich selbst, ich versuchte, mich dazu zu zwingen, auf andere Leute zuzugehen, aber das fiel mir schwer. Ich spielte mit dem Gedanken, das Haus zu verkaufen und nach Berlin zu ziehen, doch nach jeder Fahrt in die Stadt kam ich erschöpft zurück und war glücklich, mich wieder in mein Refugium zurückziehen zu können, weshalb ich den Planeines Umzugs nicht wahrhaft erwog. Ich konnte wunderbar arbeiten, und dieses zurückgezogene Leben entsprach mir.
14.
    In Kietz hatte ich angefangen zu schreiben. Es waren keine Geschichten, vielmehr Impressionen, die ich nicht mit dem Pinsel festhalten wollte, sondern mit den für mich ungewohnten Worten. Eindrücke von meinen Spaziergängen, Naturbeobachtungen, Notate meiner Wanderungen, es waren gewissermaßen die kleinen Steinchen, die mir aufgefallen waren und die ich gesammelt hatte, Beobachtungen, all die kleinen und eigentlich unbedeutenden Wahrnehmungen, die in mir eine Spur

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