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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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wollte die Warenhäuser anschauen und versprach, um sieben bei Kathi zu sein. Er war groß genug, ich konnte mich auf ihn verlassen. Ich fuhr nach Dahlem, um mir die Gemäldegalerie anzusehen und das Völkerkundemuseum. An diesem Nachmittag war ich fast allein in den Gebäuden, nur zwei ältere Ehepaare kreuzten wiederholt meinen Weg. Dann fuhr ich nach Wilmersdorf, um zwei Galerien zu besuchen. Ihre Besitzer hatten mich vor Jahren in meinem Berliner Atelier aufgesucht und zeigten sich damals sehr interessiert an meinen Arbeiten. Beide Galerien waren sehr elegant, es waren große, helle und kostbar möblierte Räume, jedes Bild hing für sich und hatte ausreichend Luft. Ich sah mir aufmerksam die ausgestellten Arbeiten an und fragte mich, wie sich meine Blätter dagegen behaupten würden. Eine Galeristin erkannte mich wieder, der andere konnte sich kaum noch an mich erinnern. Beide gratulierten mir zum Fall der Mauer, aber beide erkundigten sich nicht nach meinen Arbeiten, und ich war so befangen, dass ich sie nicht darauf ansprach. Ich lud sie zu meiner nächsten Ausstellung ein, die für den Februar in Berlin verabredet war, sie versprachen zu kommen, mich irritierte jedoch, dass sie sich weder den Termin der Ausstellungseröffnung noch den Ort notierten. An diesem Tag hatte ich zum ersten Mal den Eindruck,dass sich auch für mich etwas geändert hatte, ohne dass ich es benennen konnte. In der Bahn auf dem Weg zu Kathi schaute ich durch die Scheibe auf die Stadt, die mir plötzlich fremd und unheimlich geworden war. Ich lachte über mich, ich war auf dem Wege, eine Dorftrine zu werden, die sich in der Großstadt ängstigt.
    In den folgenden Monaten gab es vor allem für Michael fast jeden Tag ein paar Umstellungen an der Schule. Die Lehrer waren unsicher geworden, und wie mir Michael erzählte, wagten sie es nicht mehr, sich in der Klasse durchzusetzen. Besonders in den politischen Fächern, in Geschichte und Staatsbürgerkunde, werde kaum noch unterrichtet, stattdessen werde bloß diskutiert, und jeder könne sagen, was er wolle. Nach den Lehrbüchern würde sich keiner richten, und in diesen Fächern würden auch keine Zensuren mehr gegeben. Michael erzählte begeistert davon, aber er bedauerte zugleich, dass man nichts mehr lerne.
    In Kietz waren die Veränderungen weniger verwirrend. Man erwartete ungeduldig die Vereinigung der beiden Staaten, sehnte sich nach dem besseren Geld, hoffte auf Erleichterungen, und gelegentlich sprachen die Leute über ihre Angst, zu kurz zu kommen oder ihre Arbeit zu verlieren. Man redete viel über Grundstücke und Hausverkäufe, die älteren Leute fürchteten, übers Ohr gehauen zu werden, die jüngeren erhofften sich schnelle Geschäfte, und mir schien, als hätte jeder plötzlich Termine bei einem Anwalt oder einem Notar. Das Straßenbild veränderte sich rasch, vor jedem Haus standen nun westeuropäische Wagen, die man stolz den Nachbarn vorführte.
    Ich arbeitete so weiter wie in all den Jahren zuvor. Die Ausstellung im Februar wurde ein Misserfolg. Die Eröffnung war so gut besucht wie gewöhnlich, und ich traf Bekannte und Kollegen, doch als ich nach sechs Wochenerschien, um die Bilder abzunehmen und einzupacken, sagte mir die Leiterin der Galerie, es sei kein einziges Blatt verkauft worden. In der ganzen Zeit sei nicht ein einziger Besucher da gewesen. In den sechs Wochen hätten nur vier Leute die Galerie betreten, einer hätte sich nach einer Straße erkundigt, und die drei anderen hatten gefragt, ob sie die Toilette benutzen dürfen.
    »Das liegt nicht an Ihnen, Frau Trousseau«, sagte sie, »die anderen Galerien haben das gleiche Problem. Die Leute sind alle vollkommen durcheinander, sie haben nur noch Geld im Kopf. Es wird schwieriger für uns. Der Stadtbezirk überlegt schon, ob er meine Galerie schließt, und dann stehe ich auf der Straße.«
    »Aber man wird Sie doch nicht entlassen?«
    »Nein, aber man kann mich irgendwo hinstecken, in irgendein dunkles Archiv. Und was ich hier über zehn Jahre aufgebaut habe, das hat sich dann erledigt. – Ja, es tut mir leid, dass Sie alle Arbeiten wieder mitnehmen müssen. Ich kann Ihnen auch nichts abkaufen, ich habe dafür keine Mittel mehr.«
    Auf der Heimfahrt dachte ich über meine Situation nach und geriet in Panik. Meine Bilder waren bisher noch nie international ausgestellt worden, ich hatte mich nie darum gekümmert, auch nicht kümmern können, und ich fürchtete, nun aus allen Zusammenhängen herauszufallen. Freunde

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