Frau Paula Trousseau
Geburtstag feierte ich in Berlin mit Kathi. An diesem Tag war ich mittags im Verlag bei Gerda Heber und gab das druckfertige Manuskript mit allen Zeichnungen, Aquarellen und Radierungen für mein Buch ab, es sollte in einem Jahr erscheinen. Es warein großartiger Tag für mich, und ich war stolz. Wie betrunken ging ich durch die Gänge des Verlages, lächelte jeden an und grüßte jeden. Als Gerda Heber nochmals davon sprach, mein Buch stelle ein Wagnis für den Verlag dar und es sei nur eine kleine Auflage vorgesehen, eine sehr kleine, da es schwer verkäuflich sein werde, nickte ich und strahlte sie an, als hätte sie mir mitgeteilt, mein Buch werde ein Verkaufserfolg und alle seien froh darüber, dass es in ihrem Verlag erscheinen werde. Ich umarmte sie, als ich mich verabschiedete.
Kathi und Michael hatten mir einen richtigen Geburtstagstisch mit Kuchen und Kerzen hergerichtet, die beiden hatten ein Geburtstagslied für mich gedichtet, wir tranken Kaffee zusammen und gingen spazieren. Bis in den späten Abend saßen wir zusammen. Irgendwann erzählten mir die beiden, dass sie darüber gesprochen hätten, wo Michael auf die Oberschule gehen solle, denn in der Umgebung von Kietz gäbe es nur eine einzige weiterführende Schule, die aber keinen guten Ruf habe, und so seien sie auf den Gedanken gekommen, dass der Junge nach Berlin wechseln und die Woche über bei Kathi wohnen könne. An jedem Freitag käme er allein oder mit Kathi nach Kietz raus. Die beiden empfanden das als eine wunderbare Lösung und wollten nicht bloß mein Einverständnis, sondern meine begeisterte Zustimmung. Ich wusste, dass es vernünftig war und ich Kathi danken musste, doch es schmerzte mich, dass sie diesen Plan ohne mich geschmiedet hatten. Mein kleiner Michael wurde langsam erwachsen, nabelte sich ab, und das tat weh.
Ein halbes Jahr später setzten im Land heftige Unruhen ein. In der Zeitung war kaum etwas darüber zu lesen, aber in den westlichen Radiosendern wurde jeden Tag ausführlich darüber berichtet, und die Bekannten und Kollegen erzählten davon. In den Monaten zuvor hattenzwei meiner früheren Kommilitonen das Land verlassen, einer war nach Westdeutschland umgezogen, der andere, ein Bildhauer, sei nach Kanada gegangen. Eine heftige Ausreisewelle, hörte ich, würde das Land erschüttern. Auch Michael erzählte mir Geschichten, die er auf dem Schulhof zu Ohren bekam, er interessierte sich brennend dafür und drängte mich, endlich einen Fernsehapparat anzuschaffen.
Ich gab ihm schließlich nach und kaufte gegen meinen Willen einen kleinen Fernseher. Ich hatte ihn bestellen müssen, und eine Woche später bekam ich den Anruf, ich könne ihn abholen, und als ich am nächsten Tag in das Geschäft fuhr, um ihn zu bezahlen und mitzunehmen, war in der Nacht davor in Berlin die Mauer geöffnet worden. Zusammen mit Michael brachte ich eine Antenne auf dem Dachboden an, und als wir den Apparat einschalteten, sahen wir plötzlich Heinrich auf dem Bildschirm. Er saß in einem Sessel und diskutierte aufgeregt mit anderen Leuten. Fassungslos starrten wir auf ihn. Er war, wie zwischendurch mitgeteilt wurde, Mitglied einer der neu gegründeten Parteien und redete sehr politisch, so hatten wir ihn nie kennengelernt. Alle in der Runde fielen sich gegenseitig ins Wort, ließen sich nicht ausreden, jeder hatte anscheinend viel zu sagen, und keiner hatte Zeit, dem anderen zuzuhören. Als die Sendung zu Ende war und ich den Apparat ausschaltete, mussten wir beide heftig lachen.
Es war eine nervöse und fiebrige Zeit. Fast jeden Abend saß ich mit Michael vor dem Fernsehapparat und verfolgte die vielen und widersprüchlichen Ankündigungen, Michael hatte viele Fragen, aber ich konnte sie nicht beantworten, irgendwie war alles ins Rollen gekommen, ich verstand zu wenig davon und wusste auch nicht, wie es weitergehen würde. Ich hatte das Gefühl, ein Land würde einfach aufhören zu existieren, konnte mir aber nichtvorstellen, wie das möglich sein sollte. Wenn ich den Leuten zuhörte, die jetzt im Fernsehen zu sehen waren, wurde es für mich nur noch verwirrender, diese Frauen und Männer erschienen mir unglaublich mutig und zugleich unglaublich lächerlich.
Eine Woche nach dem Mauerfall fuhr ich mit Michael nach Berlin, einen ganzen Tag lang liefen wir durch den Westteil der Stadt. Es war alles übervoll, überall drängelten sich die Leute, aber sie waren heiter und freundlich. Nach einem kleinen Mittagsimbiss trennten wir uns, Michael
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