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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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durch ihr aussichtsloses Alleinsein wehleidig und sentimental geworden, und ich konnte einigen ihrer Äußerungen entnehmen, dass sie früher harte Burschen gewesen waren. Ich dachte bei ihnen an meinen Vater, vielleicht würde er genauso enden, falls Mutter vor ihm sterben würde. Seine ganze Herrlichkeit beruhte darauf, dass er jemanden im Haus hatte, den er kommandieren konnte; er würde in sich zusammenfallen, wenn keiner mehr da wäre. Vielleicht würde ich dann meinen Vater wieder besuchen, und er würde, wie meine alten Männer, ungeduldig warten, bis ich an seiner Tür klingelte, und er würde wie sie um meine Zuneigung betteln.
    Die alten Frauen waren schwieriger, sie hatten so viel auf der Seele und keinerlei Hemmungen, es mir zuerzählen, obwohl ich ihr Enkelkind sein könnte. Von ihnen fühlte ich mich stärker bedrängt als von den Annäherungsversuchen der alten Männer. Die alten Frauen wollten mehr von mir, sie wollten von mir geliebt werden, sie wollten von mir das, was ihnen ihre Kinder nicht gaben oder was sie von ihnen nicht ausreichend erhielten. Und sie versuchten alles, um zu ihrem Ziel zu gelangen.
    Zwei Frauen setzten mich nach einem Vierteljahr in ihrem Testament als Erben ein. Ich lachte darüber und sagte, ihre Kinder und Enkel hätten dennoch Anspruch auf das Erbe, doch um nicht jedes Mal mit ihnen zu streiten, widersetzte ich mich nicht, ließ mir erzählen, was ich alles eines Tages von ihnen erben würde, und machte meine Arbeit. Ich hörte später nie wieder etwas von diesen Erbschaften, wahrscheinlich war eine meiner Nachfolgerinnen zur neuen Erbin eingesetzt worden.
    Nach der Arbeit kaufte ich Milch und Brot und fuhr dann zu Hans. Wie immer war er noch nicht daheim und ich konnte in Ruhe einen Tee trinken. Ich wollte das Kind abtreiben lassen, ich musste es. Wenn ich im September studieren wollte, konnte ich kein Kind bekommen, ich konnte nicht hochschwanger in der Schule auftauchen und nach ein paar Wochen in den Schwangerschaftsurlaub gehen, und schon gar nicht konnte ich ein Studium in Berlin absolvieren, ein Kind aufziehen und an den Wochenenden zu Hans fahren. Das Kind bei ihm in Leipzig zu lassen oder bei meiner Mutter war vollkommen ausgeschlossen, das wusste ich, das würden Hans und Vater hintertreiben, denn sie wollten nicht, dass ich studiere. So blieb mir nur die Abtreibung. Ich würde mit Hans nicht darüber reden, ich würde es verheimlichen. Er hatte mir das Kind auch heimlich gemacht und es verdient, dass ich es ihm heimzahle. Wenn ich das Kind abtreiben ließe, wäre das eine gelungene Antwort, er würde vielleicht begreifen, dass ernicht über mein Leben zu bestimmen hatte, dass er keinerlei Recht besaß, so hinterhältig mit mir umzugehen. Es wäre für ihn und Vater die passende Antwort. Ich wurde ganz ruhig, als ich diesen Entschluss gefasst hatte, ich war so ruhig und heiter, dass Hans immer wieder irritiert zu mir sah, als er nach Hause gekommen war und ich wie selbstverständlich und als sei überhaupt nichts vorgefallen, das Abendbrot machte und mit ihm zusammen aß.
    Irgendwann am Abend fragte er: »Freust du dich, Paula?«
    Er saß vor seinem Fernseher, ein Bierglas in der Hand, und stellte mir freundlich und liebevoll diese Frage. Ich hatte nach dem Abendbrot eine Stunde in meinem Zimmer gesessen und aquarelliert und mich dann mit einem Band Dürer-Zeichnungen ins Wohnzimmer gesetzt. Nach der Frage blickte ich starr auf die aufgeschlagene Seite, beide Hände drückte ich fest auf das Buch, damit sie nicht zittern. Mein Gott, dachte ich, was bist du für ein Schwein, du vergewaltigst mich und fragst dann, ob ich froh darüber bin. Freust du dich?, fragt er mich. Er glaubt wahrscheinlich, dass ich jetzt glücklich bin. Die Frau ist ein Muttertier, die beglückt ist, wenn man sie begattet und sie schwanger wird. Und wenn das Kind auf der Welt ist, dann ist sie ohnehin nur noch eine dumm strahlende Glucke, die allein Augen für das Küken hat, die nichts weiter bekümmert als das Wohl und Wehe des hilflosen Nachwuchses. Freust du dich? Nein, mein Herr, ich freue mich nicht.
    Ich lasse es abtreiben, dein Kind, ich lass es wegmachen. Ich lasse es aus mir entfernen, und ohne dich zu fragen oder dich auch nur zu informieren, genauso einfach, wie du es mir gemacht hast. Ich handle so wie du, genau so, und damit wirst du zurechtkommen müssen. Dein Kind wird im Mülleimer vom OP irgendeines Krankenhauseslanden. Du hast vermutlich schon deine Freunde über dein

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