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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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vermutlich erwartete er, dass ich mich bei ihm bedanke. Er begriff überhaupt nicht, was er mir angetan hatte. Für ihn war es ein Spaß oder eine völlig normale Geschichte in einer Ehe. Er verstand nicht, dass er mich gedemütigt hatte, vergewaltigt, geschändet. Ich fühlte mich besudelt und missbraucht, und er verstand es nicht. Ich sah ihn an und war ganz leer, ich empfand nichts, keine Liebe, keinen Hass, kein Gedanke an den Embryo in mir, nur Ekel.
    »Ich werde studieren«, sagte ich, »ich gehe nach Berlin an die Kunsthochschule. Davon wird mich nichts abbringen. Nichts. Du nicht und auch kein Kind.«
    Ich sagte es laut, ganz laut, ich brüllte, um mich dazu zu zwingen, bei meiner Entscheidung zu bleiben. Dann nahm ich meine Handtasche und ging zur Wohnungstür. Hans fasste wiederum nach mir, ich duldete es schweigend. Er drehte meinen Kopf so, dass ich ihn ansehen musste, aber in mir war alles dumpf und stumpf, und so schaute ich ihn an, ein völlig leerer Blick. Er fragte, ob ich ihn jetzt hassen würde.
11.
    Ich verließ die Wohnung. Er rief mir irgendetwas hinterher, ich lief einfach weiter. Ich lief und lief, ich versuchte einen klaren Gedanken zu fassen, aber das war nicht möglich. Als es stockfinster geworden war, betrat ich eine Bierkneipe und bestellte einen Schnaps, den ich mit einem Zug austrank, und obwohl er widerlich schmeckte und ich dieses Zeug nicht gewohnt war, bestellte ich sofort einen zweiten Schnaps und ein Bier dazu. Zwei Männer, die an einem der Tische gesessen hatten, stellten sich zu mir an den Tresen. Sie versuchten, mit mir in ein Gesprächzu kommen, gaben es aber nach ein paar Minuten auf, da ich mit keinem Wort und keiner Geste auf sie einging. Nachdem ich das Bier getrunken hatte, bezahlte ich und verließ die Kneipe, nun war mir auf eine andere Art übel, vom Alkohol, aber diese Übelkeit löschte oder überdeckte die andere, was mir recht war. Ich lief durch die Stadt, um einen klaren Kopf zu bekommen. Ich überlegte, wohin ich gehen könnte.
    Eine Stunde später stand ich vor Hans’ Haus, denn es war sein Haus, nicht unser Haus. Alle Fenster waren dunkel, entweder schlief er schon oder war ausgegangen. Ich schlich mich leise hinein, ging in mein Zimmer und lag dann die halbe Nacht wach. Kurz nach sechs klingelte mein Wecker, ich stand nicht sofort auf, sondern blieb noch einige Minuten liegen und ging dann ohne Frühstück zur Arbeit.
    Ich war schwanger. Ich hatte nie daran gedacht, aber nun war es passiert, in mir wuchs etwas. Etwas Organisches, ein Lebewesen, ein Mensch, ein Kind. Mein Kind. Oder vielmehr sein Kind, denn ich hatte es nicht gewollt. Ich hatte mich endlich einmal durchgesetzt, war erwachsen geworden, hatte allen gezeigt, dass ich mich behaupten kann, dass ich erwachsen bin. Und dann hatte er seine Entscheidung dagegengesetzt, um mir zu zeigen, dass ich ein Nichts bin. Vielleicht hatte er sich mit meinem Vater zusammengesetzt und diesen teuflischen Plan ausgedacht. Vielleicht war es sogar mein Vater gewesen, der diesen Einfall hatte, vielleicht war er es, der ihm gesagt hatte: Schwängere sie, dann ist das Problem gelöst, dann hat die dumme Kuh genug zu tun, ein Baby wird ihr die Flausen austreiben. Und dann werden sie beide gegrinst haben, so ein fettes Männergrinsen, weil sie sich wieder mal über die Welt einig waren und weil sie wieder mal alles nach ihrem Kopf geregelt hatten.
    Ich hatte an jenem Dienstag zu fünf Frauen und drei Männern zu gehen, um bei ihnen nach dem Rechten zu sehen. Ich hatte Verbände zu wechseln, zwei Insulinspritzen zu geben, bei zwei Frauen hatte ich mir die Oberschenkel und den Bauch anzusehen. Bevor ich sie verlassen konnte, musste ich mich auf einen Sessel setzen und mit ihnen reden oder vielmehr ihnen zuhören, und das war vielleicht das Wichtigste, was ich für sie tat, denn was ihnen fehlte und wehtat, das waren nicht die Krankheiten und das Alter, das war die Einsamkeit.
    In den ersten Wochen waren die Alten mir gegenüber mehr als misstrauisch und von kränkendem Argwohn, der bis zur Kontrolle meiner Bewegungen in ihrer Wohnung reichte, doch nachdem sie sich an mich gewöhnt hatten, kam es rasch zu dem vorhergesagten Gefühlsumschwung. Nun zogen sie mich ins Vertrauen, tischten mir Familiengeschichten auf, offenbarten mir Intimitäten, was mir unangenehm war, und berichteten von Sehnsüchten, die ich ihnen nicht mehr zugetraut hatte und die mein Unbehagen erregten. Mit den alten Männern kam ich zurecht, sie waren

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