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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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bleiben? Willst du nicht zu mir ins Bett kommen»?
    »Ich bin so müde«, sagte ich und schloss die Augen.
10.
    Die Hochzeit fand im Januar statt. Wir heirateten in Leipzig, Hans hatte einen Saal im Hotel Astoria bestellt, und da er neben den Verwandten seine Kollegen und Geschäftspartner eingeladen hatte, waren siebzig Gäste gekommen. Über die Verschiebung des Termins sprach an dem Tage keiner, jedenfalls kam mir keine Anspielung darauf zu Ohren. Mutter weinte viel und umarmte Hans und mich mehrmals.
    »Mach meine Kleine glücklich«, sagte sie zu ihm.
    Hans lachte, und ich verdrehte die Augen.
    Am Tisch wurden viele Reden gehalten. Von den Verwandten sagten nur die beiden Väter etwas, aber die Kollegen von Hans und alle seine Geschäftsfreunde ließen es sich nicht nehmen, irgendwann aufzustehen, an ihr Glas zu klopfen und das Brautpaar oder die Braut zu feiern. Ich kam mir vor wie auf dem Pferdemarkt.
    Am Abend schloss ich mich für eine halbe Stunde mit Kathi in der Toilette des Hotels ein. Irgendwann klopfte die Mutter von Hans an die Tür und fragte, ob alles in Ordnung sei. Ein paar Minuten später kam ich mit Kathi in den Saal zurück, meine Schwiegermutter umarmte mich und sagte, das sei nur das Glück, sie habe an ihrem Hochzeitstag auch geheult. Ich sagte nichts dazu, sah sie überrascht an und warf Kathi einen warnenden Blick zu. Wir hatten uns in der Toilette über die Hochzeitsgäste und meine Schwiegereltern amüsiert, aber das wollte ich der guten Frau nicht erzählen. Hans sah mich misstrauisch an, ich nahm Kathi an der Hand und ging mit ihr auf die Tanzfläche. Beim fünften Tanz stellte sich Hans neben uns, um abzuklatschen. Schließlich fasste er nach meiner Schulter, drehte mich zu sich und sagte, es sei nun genug, ich solle mit ihm tanzen, er sei der Bräutigam. Da ich nichtserwiderte, wollte er wissen, was los sei. Ich sagte ihm, ich hätte mit Herrn Gerlach gesprochen, der für Hans der wichtigste Gast war. Herr Gerlach, der Baudirektor vom Konsistorium, habe von mir wissen wollen, wie ich mein Leben nach der Heirat geplant hätte, ob wir bald Kinder haben oder erst ein paar Jahre Flitterwochen machen wollten. Ich hätte ihm daraufhin von meinem Studium in Berlin erzählt, woraufhin er süffisant gelächelt und gesagt habe, dass er davon schon gehört habe, aber mein Gatte damit wohl nicht einverstanden sei. Ich fragte Hans, was er seinem Geschäftsfreund über uns berichtet habe und was das für Pläne seien. Ich wollte von ihm wissen, ob unsere Vereinbarung gelte, die wir vor der Hochzeit getroffen hätten. Hans bestritt nicht, mit Gerlach über mich gesprochen zu haben, allerdings könne von irgendeiner Vereinbarung zwischen uns keine Rede sein.
    Auf seine Bitte hin setzte ich mich zu ihm und tanzte auch noch zweimal mit ihm, und dann habe ich mich mit Kathi einfach betrunken, was alle ganz reizend fanden. Das war meine Hochzeit.

    Nach der Hochzeit brach ich die Ausbildung als Krankenschwester ab und musste den Platz im Wohnheim aufgeben. Mein Plan, als Hilfskraft oder Pflegerin im Krankenhaus zu arbeiten, wurde von der Oberschwester durchkreuzt, die über meinen Abbruch der Lehre so erbost war, dass sie mich nicht mehr im Krankenhaus sehen wollte, obwohl Hilfskräfte dringend benötigt wurden. Vierzehn Tage lang bemühte ich mich um eine Arbeit für die Monate bis zum Studiumsbeginn, aber ich wollte nicht als Verkäuferin oder Kellnerin arbeiten und bei den anderen Stellen, bei denen ich vorsprach, winkte man ab, als ich sagte, ich suche nur bis zum Sommer etwas. Schließlich bekam ich von der Stadt etwas angeboten, die AbteilungSoziales und Gesundheit brauchte ausgebildete Kräfte für die Betreuung von Alten und Kranken und akzeptierte meine zwei Lehrjahre als Befähigungsnachweis, da es überhaupt keine Bewerber für diese Arbeit gab. Ich hatte jeden Tag in ein paar Wohnungen zu gehen, um alte Leute zu waschen und ihnen Medizin zu verabreichen. Ich durfte Spritzen geben und hatte im Amt zu melden, wenn etwas Ungewöhnliches vorgefallen war, was dringliche amtsärztliche Hilfe oder gar eine Einweisung in ein Altenheim oder ein Krankenhaus notwendig machte. Nach wenigen Wochen hatte ich meine Patienten kennengelernt, nette alte Männer und Frauen, die sich freuten, wenn ich auftauchte, ein paar stinkende Kerle, die ich am liebsten mit zugehaltener Nase besucht hätte, und ein paar giftige Nattern, die so taten, als wolle ich ihnen ihre Habseligkeiten stehlen. Für die Zeit bis zum

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