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Frau Prinz pfeift nicht mehr

Titel: Frau Prinz pfeift nicht mehr
Autoren: A Scheib
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auszahlen oder so was, da haben sich die Leute an die Frau Molden gewandt, weil sie Sozialarbeiterin ist und sich um
     solche Fälle kümmert. Und nach den Moldens sind sie dann zu mir gekommen, die Aussiedler«, hatte Frau Hegemann fast schuldbewußt
     gesagt. »Wenn ich nur geahnt hätte, was hier neuerdings für Menschen herumlaufen, dann hätte ich persönlich den Kinderwagen
     hereingeholt. Viele Mütter lassen den Wagen draußen stehen, wenn die Kinder schlafen, aber von heute an nicht mehr!«
    Seitdem arbeitete es in Emilies Gehirn. Wenn Ingrid gesehen hatte, daß die Aussiedler bei Moldens waren, wenn sie dabei auf
     die Idee gekommen wäre, ein Kind zu entführen, weil ihr eigenes tot war, wenn Ingrid die paar Schritte zum Lebensmittelladen
     gegangen wäre, wenn sie das Baby aus dem Kinderwagen gehoben, unter ihrem Mantel versteckt und ruhigen Schritts mit heimgenommen
     hätte? Wenn die Prinz II das Kind gesehen hatte, bevor Ingrid es |67| zu Emilie brachte, wenn die Prinz II, die natürlich ebenso wie alle Leute in Nymphenburg von der Entführung gewußt hatte,
     Ingrid gedroht hatte? Vielleicht hatte sogar Ingrid ihre Stiefmutter   ...
    Dieser Verdacht schlug so schmerzhaft heftig ein in Emilies Bewußtsein, daß sie sich setzen mußte. Sie schaute Ingrid entsetzt
     an, schlug hilflos die Hände vor den Mund.
    »Ingrid, um Gottes willen, du hast doch nicht –«
    Ingrids Gesicht bekam wieder den tückischen, verschlagenen Ausdruck, den Emilie an ihr kannte, seit sie als Kind ihren Platz
     neben der dominanten Stiefmutter verteidigen mußte.
    »Millie, ich tu doch nur was Gutes. Die Aussiedler haben noch fünf weitere Kinder, insgesamt sechs! Kannst du dir das mal
     vorstellen! Die hatten wohl keine Pille in Kasachstan. Die Frau arbeitet nachmittags im Supermarkt, da müssen die Großen auf
     die Kleinen aufpassen. Wie es da zugeht, das ist ja wohl klar. Was für eine Zukunft hat so ein Aussiedlerkind? Die Eltern
     werden nie |68| genug für alle verdienen. Die können ja kaum Deutsch. Deshalbwaren die ja auch bei der Molden, damit die für sie Briefe schreibt.
     Solche Leute kommen doch nie zu was. Bei mir hat der Kleine alles, ich habe das Geld von Muck geerbt, ich habe das Haus, ich
     muß keine Stunde arbeiten, solange er klein ist, Millie, der Junge wird mir später bestimmt dankbar sein! Und dir auch, Millie.
     Du ziehst wieder zu mir ins Haus, ja, Millie, so machen wir das! Dann wird wieder alles, wie es früher war, als wir Muck noch
     hatten! Bitte, Millie!«
    Emilie Koch sah Ingrid an, als sähe sie ein Gespenst. Mit zitternder Stimme sagte sie, das mit der Entführung wisse sie ja
     jetzt, aber viel schlimmer sei, daß Ingrid ihre Mutter   ...
    Ingrid Papke war zuerst verblüfft, dann bestürzt, doch sie faßte sich schnell.
    Sie sagte rauh: »Ich – ich hätte die Mutter umgebracht? Glaubst du das wirklich, Millie? Nur du weißt, wie sehr ich das gewollt
     hätte, zuerst nach Papas Tod, dann nach dem Tod von Muck – aber ich hab es nicht geschafft. Hörst du, Millie, ich habes nicht |69| getan – und mit Niki, da mußt du mir helfen! Bitte, Millie, ich hab doch nur dich.«
    Ingrid Papke stürzte auf Emilie Koch zu, nahm sie in die Arme, vergrub ihren Kopf an der Schulter der alten Frau, die immer
     nur stumm den Kopf schüttelte.

6
    Kommissar Kemper und sein Kollege Strobl beeilten sich, zum »Fraunhofer« zu kommen. Es war noch früher Morgen, der brüllende
     Verkehr in den Straßen hatte sich ein wenig beruhigt, die Berufstätigen saßen in ihren Büros oder bedienten in den Kaufhäusern
     die Kunden. Seit dem Wochenende lag Schnee, er hielt sich sogar als weißgrauer Matsch in den Straßen, denn die Temperaturen
     waren für Münchner Verhältnisse niedrig. Die ungewohnte Kälte triebden Männern Tränen in die Augen. Kemper hatte noch nicht
     gefrühstückt, er brauchte dringend einen Kaffee, hatte aber keinen |70| mehr daheim gehabt. Strobl, der in der Kindesentführung keinen Schritt weiterkam, der inzwischen fest davon überzeugt war,
     daß das Aussiedlerkind tot war, tot seit dem Tag, an dem es verschwunden war – Strobl war frustriert, mißmutig. Das Kind war
     ermordet und vergraben worden, seit die Täter erfahren hatten, daß von den Aussiedlern kein Geld zu holen war, davon war er
     überzeugt. Es gab zwar keine konkreten Spuren, aber alle Erfahrung sprach dafür. Strobl haßte aussichtslose Recherchen und
     begleitete deswegen lieber Kemper, war dabei aber denkbar
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