Frau Prinz pfeift nicht mehr
sie
sich dort niedergelassen und einen Archäologen geheiratet habe.
Kemper sah sich um im »Fraunhofer«. Künstliche Hopfenreiser verzierten Theke und Kredenz, der Stuck unter der Decke |75| war sanft bräunlich – seltsam, früher war Kemper alles größer erschienen, glänzender.
Leise Wehmut wollte sich in ihm ausbreiten, doch das ließ Kemper nie zu. Er hatte viel gelebtes Leben hinter sich, dazu stand
er, das war schließlich die einzige Alternative zu einem frühen Tod. Und daß die Vergangenheit alles verklärt, wußte Kemper
auch aus Erfahrung. Demnächst würde er seinen Fünfundfünfzigsten feiern. Das heißt, er würde ihn überhaupt nicht feiern, Geburtstage
fand er albern und lästig, noch niemand hatte ihn überreden können, eine Party zu seinem eigenen Geburtstag zu veranstalten.
Auch Strobl hatte seinen Kaffee getrunken, er sah auf die Uhr. »Komm, wir gehen rüber ins ›Werkstattkino‹, die sind bestimmt
im Büro, und vielleicht kommt der Papke vorbei. Irgendwo muß er ja sein.«
Sie gingen durch eine gepflasterte Remise in den Hinterhof, kletterten die schmale Treppe hinunter ins »Werkstattkino«. An
den Wänden Filmplakate. Im Zuschauerraum mochte Platz für 60 Leute sein. Kommissar Kemper öffnete die Tür zum Büro, fragte eine junge Frau, die etwas in einen |76| Computer eintippte, obBerthold Papke hier sei. Als sie ihn erstaunt bis ablehnend anschaute, zeigte er wortlos und möglichst
unauffällig seinen Ausweis. Sie stand auf, ging hinaus und kam kurz darauf mit einem schlanken, rötlichblonden Mann wieder,
an dem Kemper erneut auffiel, daß er so unauffällig aussah. Wie ein Schluck Wasser, dachte Kemper, doch er hatte gelernt,
daß die Unauffälligen einem immer die meisten Scherereien machen.
»Kemper, Hauptkommissar Kemper, wir kennen uns, nicht wahr, das ist mein Kollege, Obermeister Strobl. Wir müssen uns mit Ihnen
über den Tod Ihrer Schwiegermutter unterhalten.«
Es war Papke sichtlich unangenehm, daß ihn die Polizei hier im Kino aufsuchte. Er tat Kemper fast leid, als Papke sich umsah,
gleichsam, als müsse er Abschied nehmen.
»Aber wieso kommen Sie ausgerechnet hierher?«
»Daheim sind Sie nicht, an Ihrer Arbeitsstelle sind Sie seit Tagen nicht gewesen – da blieb uns nur Ihr zweites Wohnzimmer
übrig«, sagte Strobl grob.
|77| Papke sprach kurz mit der jungen Frau am Computer, dann wies er auf eine Tür, und sie gingen in eine Art Wohnraum, wo Papke
sich eine Cola aus einem Kühlschrank nahm, fragte, obKemper und Strobl auch eine wollten. Sie nickten, und dann sagte Strobl,
Papke solle ihnen doch einmal berichten, was ihn dazu bewogen habe, nicht sofort nach Hause zu gehen, als er von dem Unfall
seiner Schwiegermutter erfahren habe. Er müsse auch genau sagen, wo er zum Zeitpunkt des Todes gewesen sei.
»An Ihrem Arbeitsplatz jedenfalls nicht, das steht fest«, sagte Strobl.
Papke schwieg, er hielt die Cola-Flasche in Gesichtshöhe und schien das Moussieren der Kohlensäure darin zu studieren.
Papke schaute erstaunt auf Kemper und Strobl, er verdrehte die Augen und zeigte damit deutlich, daß die beiden Kommissare
ihm auf die Nerven gingen. Dann sagte er ruhig, daß er die letzten drei Tage hier gewesen sei, genau hier in diesem Raum,
hier habe er auch geschlafen. Das könne die Frau draußen bezeugen, und die Mitinhaber des »Werkstattkinos«, seine beiden |78| Freunde Wolfi und Alex, würden das ebenso bezeugen, auf Wunsch auch beeiden.
»Die können sich ihre Eide in die Haare schmieren«, sagte Strobl verdrossen, trank den letzten Schluck seiner Cola und stand
auf. Kemper hatte sich ebenfalls erhoben, er zog sich den Mantel wieder korrekt zurecht, ging zur Tür und sagte zu Papke,
daß er noch lange nicht aus dem Schneider sei.
»Wir sprechen uns noch, Herr Papke, Sie haben ganz schön Dreck am Stecken, da helfen Ihnen auch die Bezeugungen Ihrer Freunde
nicht.«
»Und kommen Sie nicht auf die Idee zu verreisen«, sagte Strobl, »wir haben noch viel mit Ihnen vor.«
7
Berthold Papke blieb gelassen sitzen, als die Kommissare gegangen waren. Was konnten die ihm schon tun. Die Frau am Kanal
– niemals würde die Polizei herausfinden, was |79| wirklich passiert war. Es war eine Nacht gewesen, wie man sie selten erlebt. Er war aus dem »Fraunhofer« gekommen, angenehm
betrunken, war mit der U-Bahn zum Rotkreuzplatz gefahren und hatte erst dort gesehen, was für ein Himmel über ihm in schwarzorangenem Licht
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