Frau Schick macht blau
Nachtritts. Irgendein Witzbold aus der Musikredaktion schickt den Soul-Klassiker Stand by me hinterher: »Für alle die kein Pferd, aber eine feste Freundin haben.« Wieherndes Lachen. »Darling, please stand by me!«
Herberger schaltet verärgert das Radio aus, lässt die Finger über das Lenkrad galoppieren. Leider kommt er ohne Musik und dank des Rendezvous mit der roten Ampel ins sinnlose Grübeln.
Gestern hat er noch hier gestanden und einen Esel für Frau Schick gestohlen. Gut, dass das vorbei ist!
Gestern hat ihm Niklas kurz vor dem Ampelstopp ein Bonbon zugeschoben. Und Stalin hat nach seiner Hand geschnappt! Gestern hat er hier ungeduldig auf Grün gewartet, weil er zu Nelly wollte. Unbarmherzig dreht sein Gedächtnis die Zeit um 24 Stunden zurück, bis zu dem Punkt, an dem noch Hoffnung auf ein völlig neues Leben vor ihm lag.
Zur Hölle mit Gestern! Wer seine Vergangenheit loslässt, ist sofort frei. Ja. Genau. So hat er das immer schon gemacht, so wird er es auch diesmal machen. Einfach loslassen und gehen. Hat sich stets bewährt.
Die Ampel gibt grünes Licht und den Weg zu den Schrebergärten frei. Herberger legt einen Gang ein und tritt aufs Gaspedal. Nichts wie weg vom Thema Nelly und der unangenehmen Frage, welche Vergangenheit genau er loslassen muss, um frei zu sein.
Die von Eckehart Gast oder Herbergers.
24.
»Heidewitzka, Herr Kapitän!«, pumpt und quetscht Herr Töller ins Schifferklavier. »Mer kann su schön im Dunkle schunkele.« Mit flinken Fingern hüpft er den Refrain über Tasten und Bassknöpfe. »Wenn üvver uns de Stäärne funkele«, singt er. Sein Altherrentenor zittert leicht und kennt auch schiefe Töne, aber das Akkordeon beherrscht er perfekt. Ein, zwei Kölsch verleihen dem Gesangsvortrag Flügel, und seine hingebungsvolle Freude an der Musik ist ansteckend.
Klingt eindeutig nach Popesch, freut sich Frau Schick, die sich das Stimmungslied »in memoriam Paulchen« als Auftakt gewünscht hat. Nach drei Strophen Heidewitzka steht fest: Vereinschef Detlev Töller ist ein alter Hase, wenn es darum geht, ein Festzelt musikalisch anzuheizen.
Darauf einen Bärenfang!
Frau Schick prostet in Richtung Bühne und nippt damenhaft. Popesch prostet zurück und kippt sein drittes Kölsch.
Gegen Bier, Bärenfang und Heidewitzka hat die Kühle der Nacht keine Chance, unter Planen und Gestänge zu kriechen. Zumal das Zelt gesteckt voll ist.
Einige Gäste und Engels’ Studenten mussten nach nebenan ins Vereinsheim »Gießkännchen« ausweichen. Sie trösten sich dort mit Frau Prachts Schnittchenbuffet und Nellys reizender Bedienung. Nelly will lieber für ihr Gehalt arbeiten, als zu feiern. Blogger zapft auf Bitte von Frau Schick das Bier. Becky wollte ihm dabei helfen, muss aber zunächst samt Zerberus und Niklas die Pfütze finden, in der sie Nellys Olivenbaum heute Nachmittag abgestellt und vergessen hat. Stalin ist als Wach- und Spürhund mit von der Partie.
Diese Becky, so jung und schon so vergesslich, also wirklich! Frau Schick konzentriert sich wieder aufs Bühnengeschehen. Sie hat den Ehrenplatz bekommen, direkt vis à vis von Popesch. Der bringt gerade mit der Fiesta Mexicana all jene Pächter auf seine Seite, die Frau Pracht verächtlich als »hörgeschädigte Rex-Gildo-Fraktion« abtut.
»Im Wald wär es sehr still, wenn nur die Nachtigallen sängen«, weist Frau Schick sie zurecht und kippt klammheimlich ein Schlubberchen Bärenfang in Frau Prachts alkoholfreies Ingwerbier.
Zugegeben, Frau Schick kann Heidewitzka und deutsche Schlager auch nur begrenzt ertragen, aber sie ist heilfroh, dass Popesch per Telefonkette seine Rex-Gildo-Pächter zum Fest geladen hat und zur Rückkehr in ihre Gärten bewegen will.
»Wir können jede Hilfe brauchen, um meine Kolonie wieder zu bevölkern und Professor Engels’ Bienen vor feindlichen Baggerangriffen zu schützen«, erklärt sie Frau Pracht, die mit finsteren Kommentaren die Gäste durchgeht.
»Töllers unbelehrbare Rentnerbande hilft uns garantiert nicht! Einige benutzen noch Nitrat als Dünger und Nervengift gegen Schnecken«, zischt sie quer über den Bierzelttisch, während Popesch auf der Bühne ein Potpourri der deutschen Hitparade aus Dieter Thomas Hecks goldenen Jahren zum Vortrag bringt.
Ein Zug bricht auf nach Nirgendwo, macht Zwischenstopp in Mendocino und kommt in einem Bett im Kornfeld zu stehen, durch das barfuß im Regen Chris Roberts tanzt, während Wencke Myrrhe ihr knallrotes Gummiboot rausholt. Die Stimmung
Weitere Kostenlose Bücher