Frau Schick macht blau
Buffettisch zu. Dahinter schneidet eine beleibte Kaltmamsell eifrig Brot, prüft Salatschüsseln und ruft nach einer Kellnerin, die flugs aus einer Tischnische auftaucht. Herberger prallt zurück, ihm stockt der Atem, sein Herz schlägt Alarm, pumpt in fliegendem Wechsel sinnlos Freude, Wut und Höllenschmerz in jede Körperzelle.
Die Kellnerin ist Nelly.
Eine scherzende Nelly, eine geschäftige Nelly, eine bildhübsche Nelly in einem schlichten grauen Kleid, das sie zu einer Erscheinung macht, die sich spontan in seine Netzhaut einbrennen will. Nelly nimmt zwei Schnittchenteller entgegen und balanciert sie mit kessem Hüftschwung direkt auf ihn zu. Nein, natürlich nicht auf ihn, sondern auf einen Tisch direkt beim Fenster.
Herberger geht spontan in die Hocke. Was macht sie hier?
Egal, das geht ihn nichts an. In jedem Fall wäre es unerträglich, im Schatten einer Abfalltonne von Nelly entdeckt zu werden. Er ist doch kein durchgeknallter Stalker! Er zwingt sich zum Luftholen und atmet Mülltonnengeruch.
Zum Teufel! Es ist unvernünftig, beschämend und erbärmlich, sich so verletzt, so betrogen und so niedergeschlagen zu fühlen, nur weil eine Frau seine Gefühle nicht erwidern will. Gefühle hat man, oder man hat sie eben nicht. Einreden kann sie einem keiner.
Ausreden allerdings auch nicht.
Verflixte Nelly!
Herberger schüttelt unwillig den Kopf. Sich im Schatten eines Abfallcontainers Gedanken über Liebe zu machen ist so sinnvoll wie ein Fahrplan ohne Eisenbahn und so erfreulich wie Musik vom Blatt zu lesen, statt sie zu hören. Nelly ist erwachsen, sie muss wissen, was sie tut, und hat wie jeder Mensch ein Recht darauf, ihre eigenen Fehler zu machen. Jörg Barfeld ist einer davon, da ist sich Herberger ziemlich sicher.
Und Nelly war seiner. Ein weit größerer wäre es allerdings, sie deshalb zur Rede zu stellen.
Er muss hier weg, bevor er eine Dummheit begeht. Nur, wie wird er Frau Schicks Autoschlüssel vorher los? Ein Eselwiehern lenkt Herbergers Blick nach links. Unter einer Laterne klappert Zerberus mit Niklas heran. Geführt wird er von Nellys Tochter Becky. Fehlt nur noch der Herr Papa.
Bellend löst sich ein zotteliges Fellknäuel von Zerberus’ Hufen, saust auf die Mülltonnen zu und wuselt sich an ihn heran. Stalin. Auch das noch. Herberger arbeitet sich in gebücktem Krebsgang seitwärts hinter der Mülltonne entlang, auf der Suche nach einem besseren Versteck. Stalin drängt und schnuppert interessiert hinter ihm her.
»Pfui Stalin!«, ruft Niklas. »Komm da raus.«
Das Fellknäuel zögert kurz und schießt davon. Herberger flüchtet sich in ein Holunderdickicht. Gerade noch geschafft! Leider versperrt ein Bretterzaun den weiteren Fluchtweg. Das Hufklappern in seinem Rücken wird lauter. Becky bringt Zerberus irgendwo beim Müllcontainer zum Stehen.
»Soll ich dir vom Esel runterhelfen?«, fragt sie.
»Nee«, antwortet Niklas. »Ich bring Zerberus in Opas Garten, der braucht Möhren, sonst pupst er. Nimm mal den Gemüsebaum.«
Geraschel.
»Vorsicht, sonst beißt Zerberus wieder was ab, der hat Hunger.«
»Ist nicht schlimm, der Baum is eh hinüber«, sagt Becky. »Ich bin dann bei Blogger. Oh, Moment noch, kannst du mir kurz das Handy borgen?«
»Geht nicht, das gehört Frau Schick«, erwidert Niklas. »Die wird böse, wenn ich’s diesmal nicht sofort zurückbringe.«
»Ich bring’s ihr. Sie hat es doch uns beiden mitgegeben!«
»Nur für Notfälle«, wehrt Niklas ab.
»Jetzt mach schon, kriegst auch einen Kaugummi.«
»Welche Sorte?«
»Orbit Erdbeer.«
»Bääh. Der ist mit ohne Zucker und ohne Blasen.«
»Ich kauf dir morgen ’ne ganze Packung Hubba Bubba«, verhandelt Becky hartnäckig.
»Nee, sofort!«, verlangt Niklas. »Hubba Bubba kann man im ›Gießkännchen‹ bei Frau Pracht kaufen. Ich will zwei Päckchen rote mit Himbeer. Nicht die grünen mit Melone.«
»Von mir aus, aber dann rück endlich das Handy raus.«
Der Deal scheint perfekt zu sein. Frau Schicks Telefon muss den Besitzer gewechselt haben, und Niklas klappert auf Zerberus mit einem munteren »Sag meinem Opa, ich bin gleich zurück« davon.
Zu Herbergers Leidwesen verschwindet Becky nicht im Vereinsheim. Sie öffnet unter kreischendem Geräusch den Müllcontainer und lässt die Klappe mit einem würgenden »Pfui, stinkt das« wieder zurückschnappen. Was auch immer sie wegwerfen wollte, setzt sie neben dem Abfallbehälter ab. Kurze Pause, dann beginnt ihr Telefonat. Offenbar erreicht sie nur
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