Frau Schick räumt auf
der Universität Cambridge gesprochen. Von den Professoren ist jetzt niemand mehr zu erreichen. Das Herbstsemester hat noch nicht begonnen. Dabei trudeln trotz herrlichstem Sonnenschein sogar hier schon Blätter von den Platanen.
Missmutig blickt Frau Schick auf das von Bäumen gesäumte Flüsschen Arlanzón hinunter. Post von Thekla ist auch nicht gekommen. Zu ärgerlich, wenn man mitten im schönsten Schwung so ausgebremst wird! Dabei lag das Happy End zum Greifen nah. »Muss sich denn heutzutage jedermann in der Weltgeschichte rumtreiben? Der Mann hat doch einen verantwortungsvollen Posten, eine Familie und ein kleines Baby!«, schimpft sie. »Da bleibt man doch zuhause.«
Nelly tritt neben sie ans Fenster. »Wir versuchen es morgen noch einmal in der Universität«, sagt sie. »Bei Lehrstuhlkollegen. Zur Not telefonieren wir uns bis zum Pförtner durch. Ich habe auch überall diese Nummer hinterlassen. Irgendjemand wird uns schon sagen können, wo Ihr Patensohn sich aufhält. Johannes von Todden scheint in Cambridge immerhin kein Unbekannter zu sein.«
»Für mich ist er das schon«, sagt Frau Schick traurig und mit einem Mal sehr müde. »Ach Nelly, ich war so dumm, so dumm. Das ist mir in Señor Fadragos Kirche klar geworden.«
»Die Madonna«, sagt Nelly leise.
»Ach, die doch nicht! Nein, ich habe dort Theklas Taufspruch für Johannes zum ersten Mal verstanden. Er beginnt nämlich so: ›Eure Kinder sind nicht eure Kinder, sondern die Sehnsucht des Lebens nach sich selbst.‹ In Burguete fand ich das noch eine Frechheit, und hab es glatt persönlich genommen. Als ob Thekla mich zu allem Überfluss noch verhöhnen wollte! Aber das war’s ja nicht, überhaupt nicht. Für sie war das tröstlich, wo sie doch nie ihre Eltern gekannt hat und nicht wusste, ob sich je überhaupt wer nach ihr gesehnt hat.«
Nelly versteht nicht ganz, worum es geht, weiß aber, was zu tun ist. Sie tastet nach Frau Schicks Hand. »Wir kriegen ihn schon. Sie werden Johannes wiedersehen und zu seinen Gunsten ihr Testament ändern und …« Sie bricht ab.
»Dann ist der Spuk um den Grüßaugust und die Nachfolge vorbei«, wollte sie sagen. Aber »Testament« ist so ein schrecklich endgültiges Wort, an das sie in Zusammenhang mit Frau Schick gar nicht denken mag. Auch wenn es natürlich eine geradezu göttliche Fügung ist, dass Johannes von Todden nicht nur ein leiblicher Erbe, sondern außerdem ein Wirtschaftsjurist ist. Der weiß bestimmt, wie man neben Pottkämper auch die intriganten Vorstände erledigt.
Durch die Doppelglasscheibe der Zimmerfenster beobachtet sie das heitere Völkchen aus Touristen, Jakobspilgern und einheimischen Flaneuren auf dem steinernen Kai. Die meisten streben über eine mittelalterliche Brücke der vom Licht der Nachmittagssonne übergoldeten Altstadt zu. Längs des Flüsschens geben Marktbuden mit Eis, kandierten Walnüssen, Wein und Häppchen einen Vorgeschmack auf die berühmten Tapas-Gassen in der Nähe der Kathedrale. Weil man durch die Schallisolierung nichts hört und nichts riecht, scheint alles fürchterlich weit weg und gar nicht wahr zu sein.
Im Badezimmer der Suite winselt Quijote um Gnade. Wasser rauscht auf.
Frau Schicks Erstarrung löst sich. »Wenn Bettina fertig ist, werde ich mich mal ein Stündchen hinlegen«, seufzt sie und setzt sich aufs Bett.
Wenig später betritt Bettina mit einem handtuchfeuchten Quijote, der nach Pfirsichshampoo riecht, das Zimmer. Verzweifelt darum bemüht, seine gekränkte Ehre wiederherzustellen, legt er sich mit Frau Schicks hochflorigem Bettvorleger an. Erfolgreich. Der Teppich ist nach fünf Minuten tot.
»Quijote!«, tadelt Bettina.
»Was erwarten Sie von einem Hund, der nach Pfirsichen riecht?«, knurrt Frau Schick.
Na endlich, denkt Nelly, die Wut hat sie zurück.
»Ich nehme ihn ja wieder mit«, entschuldigt sich Bettina mit extrablauem Entschuldigungsblick. Damit bringt sie Frau Schick verlässlich auf die Palme.
»Unterstehen Sie sich! Der bleibt hier. Sie zwei gehen.« Frau Schick deutet auf Bettina und Nelly.
»Aber was ist, wenn noch jemand aus Cambridge anruft?«, fragt Bettina.
»Damit werde ich schon fertig.«
»Ich kann die Gespräche auf mein Zimmer legen lassen«, schlägt Nelly vor. »Ich hab schließlich überall meinen Namen hinterlassen.«
»Sie beide haben den Rest des Nachmittags frei. Kaufen Sie sich mal einen anständigen Lippenstift, Bettina. Rosenholz dürfte passen. Wimperntusche schadet auch nicht. Und in diesen
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