Frau Schick räumt auf
Flammen. Der Seufzer verrät, dass ihre Vorstellung vom Glück gerade auf den Namen Viabadel hört. Das sieht Frau Schick auch daran, wie Bettina Quijotes rechte Pfote massiert. So massiert man gewöhnlich keine Hundepfoten, sondern verspannte Männernacken.
Frau Schick spürt, wie die Kühle der Nacht in ihrem Rücken hochkriecht. Vielleicht sollte sie jetzt mal eine Geschichte erzählen. Eine von der Butzi. Die mit dem Auto und den Stockrosen etwa oder die von Mozarts Stuhl. Leider ist Letztere schlecht ausgegangen. Hm, wie wäre es mit Goethe? Goethe geht ja immer. Auch das ist Gottes Gabe, aus ein paar sonnenhellen Tagen sich so viel Licht ins Herz zu tragen, dass, wenn der Sommer längst verweht, sein Leuchten immer noch besteht.
Nein, das klingt zu lieb nach Poesiealbum und Kreuzstichdeckchen. Und nach Thekla und Tod. Für die war Goethe immer der Größte. Goethe, Thekla und der Tod haben hier jetzt nichts zu suchen. Überhaupt braucht Frau Schick keine Gedichte über das Glück, um zu wissen, was ihr dazu fehlt. Die Schemutat hat das wie immer sehr schön auf den Punkt gebracht. Die hat gesagt …
Ein wimmerndes Gaumensegel reißt sie aus ihren Gedanken. Das Schweigen und das Heulen hat Hildegard so angestrengt, dass sie eingeschlafen ist. Das Wimmern wird zum »Ratzepüüüüüh«.
»Das Glück ist immer nur im Augenblick zuhause«, ergreift Bettina die Gelegenheit für einen neuen Sinnspruch.
»Blödsinn! Zum Glücklichsein gehören Mut und haltbare Zähne«, kontert Frau Schick energisch mit einem Lieblingssatz der ollen Schemutat.
Nelly übersetzt, und Hope nickt begeistert.
»Dann müssen Sie ein besonders glücklicher Mensch sein, Frau Schick«, sagt Bettina.
» And a very beautiful one«, sagt Hope, die plötzlich Deutsch zu verstehen scheint.
Sie und besonders glücklich? So hat Frau Schick das noch nie gesehen.
46.
Als Frau Schick erwacht, ist sie steif wie ein Brett. Sie hat es geahnt. Das wird heute was werden. Nur gut, dass sie gestern ihr Gebiss dringelassen hat und – sie fasst sich ins Gesicht – die Brille auf der Nase. Damit sie besser sehen konnte. Nur für den Fall, dass des Nachts ein Strauchdieb namens Tosantos einen Abstecher hierher gewagt hätte. Er hat es nicht gewagt. Bis auf ein Rascheln war die Nacht ruhig. Das muss jedoch Hope gewesen sein, die weit vor dem Morgengrauen aufstehen wollte, um in die Sonne hineinzuspazieren. Sie glaubt fest daran, dass man in der dunkelsten Stunde der Nacht seinem Engel begegnen und ihn befragen kann.
Eins ist jedenfalls klar: So hat sie zum letzten Mal übernachtet. Hope ist zwar reizend und sehr lustig, aber für Pyjamapartys in eisernen Stockbetten fühlt sich Frau Schick einfach zu alt. Ein Kissen, ein Federbett und absolute Ruhe sind in ihrem Alter wirklich nicht zu viel verlangt. Außerdem braucht sie mehr Bodenkontakt. Sie schläft nämlich im oberen Bett, weil es die beste Matratze hat. Dafür steht ihr jetzt ein schwieriger Ausstieg bevor.
So, und nun aber mal fix die steifen Knochen sortiert! Durch ein Astloch der Baracke stiehlt sich ein Sonnenstrahl und kitzelt ihre Nase. Herrje, sind ihre Beine steif. Sie versucht es mit ihrem alten Trick. Einatmen und ausatmen und erst einmal an nichts denken.
Hope hat gestern behauptet, das sei die beste Methode der Meditation, ganz hohe Schule, Tausende von Jahren alt und asiatisch. Hauptsache nicht amerikanisch, denkt Frau Schick und unterbricht sich sofort. Jetzt denkt sie ja doch wieder nach!
Um den Gedankenlärm zu stoppen, hat Hope ihr empfohlen, mit geschlossenen Augen in jedes Körperteil hineinzuatmen. Angefangen wird mit dem kleinen Zeh. Einfach nur »Zeh« denken und direkt hineinatmen. Linker Zeh, kommandiert Frau Schick sich und schließt die Augen. Einatmen. Rechter Zeh. Ausatmen. Beim Einschlafen hat das gestern tatsächlich geholfen, vielleicht funktioniert es ja auch beim Aufstehen. Linker Fuß. Einatmen.
Erstaunlich! Ihre Füße antworten mit einem leichtem Kribbeln. Erfreut macht Frau Schick mit den Beinen weiter. Klappt auch. Aber hoppla, was ist das jetzt?
Sie rüttelt sich, sie schüttelt sich. Ihr ganzer Körper kommt in Bewegung. Erschrocken hält Frau Schick die Luft an. Sie ist doch nicht der Bi-Ba-Butzemann.
Nein, sie nicht, aber Bettina, die das Bett zum Wackeln bringt, indem sie heftig daran rüttelt. »Sie müssen sofort aufstehen, Frau Schick.«
»Halten Sie das Bett an!«
Bettina gehorcht. »Nelly ist weg.«
»Was?« Frau Schick fährt hoch. So
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