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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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hingelegt, weil sie um den Ariernachweis einfach nicht mehr herumkam und ihr das Talent zum Glücklichsein endgültig abhandengekommen war. Röschens Papa, der Freiherr von Todden, hat zwar von den Braunen nach Butzis Tod gar nichts mehr gehalten, aber als Offizier dann doch noch mitgemacht, erst beim Krieg und dann beim Attentat vom Stauffenberg. Nicht in vorderster Front, aber dafür, dass sie ihn hernach gejagt und erschossen haben, als er nachts durch ein Stallfenster fliehen wollte, hat es gereicht. Damit waren alle Freude und alle Zärtlichkeit aus Röschens Kindheit für immer verschwunden. Nur die Schemutat war ihr geblieben, aber die hat es dann auf der Flucht im Viehwaggon erwischt. Und kurz vorher Mamas goldenen Stuhl. Den hat die Schemutat nämlich mitnehmen wollen, weil das Herz der Butzi so an ihm gehangen und der Mozart auf ihm gesessen hat.
    So, nun aber Schluss damit. Jetzt hat sie alle in Gedanken noch einmal beerdigt und Lebewohl gesagt. Jetzt will sie nicht weiter daran denken, auch wenn der leicht schwermütige zweite Satz von Mozarts Jubilate dazu einlädt.
    Frau Schick neigt den Kopf zum Fenster, wo blendend weiße Leitplanken mit seligeren Erinnerungen und noch seligeren Plänen verfließen. Ihr Blick streift Nelly. Mozart und Musik helfen da wenig. Das arme Kind sitzt stumm und stocksteif da wie eine Schneiderpuppe, an der ein besonders bösartiger Designer einen neuen Lumpenlook getestet hat. Im Herzen dieses Kindes dürfte es ähnlich wüst aussehen.
    Na, das lässt sich alles wieder richten, denkt Frau Schick, da haben wir schon ganz andere Sachen hinbekommen.

17.
    Verfluchtes Pamplona! Nelly blinzelt Tränen weg und drückt ihre soeben bei einem Straßenhändler erworbene Sonnenbrille fest ans Nasenbein. So fest, dass es wehtut. Kopfschmerzen sind besser als Herzschmerzen.
    Spaniens Himmel war den ganzen Tag über unerträglich blau und verglüht nun in bester Postkartenidylle. In sattem Orange flutet die Sonne Boulevards und Gassen, vergoldet Balkongitter, bringt blätternden Putz und totengraue Kirchen zum Leuchten. Eine Kulisse des Glücks. Welch ein Hohn!
    San Saturnino, benannt nach dem Schutzheiligen Navarras, läutet in Nellys Rücken blechern und träge den Abend ein. Als der siebte Glockenschlag verhallt, strafft Nelly die Schultern. Sieben Uhr eignet sich als Tageszeit genauso gut wie jede andere, um die alte Nelly – besser gesagt: die junge, dumme und sträflich naive Nelly, die es nie, nie mehr geben soll und darf – zu Grabe zu tragen. Hier, in Pamplona und mitsamt dieser verfluchten Marc-Jacobs-Pumps, deren Absätze sich alle paar Meter in Pflasterkanten und Granitbuckeln verhaken.
    Außer der Sonnenbrille hat Nelly sich von Frau Schicks Geld eine Jeans, Unterwäsche und ein weißes T-Shirt gekauft und die neuen Kleidungsstücke direkt anbehalten. Zum Glück ist Sommerschlussverkauf. Darum wären sogar noch neue Schuhe drin. Doch Nelly zögert. Sie hasst Schuhkauf, fast so sehr wie sich selbst. Marc Jacobs war ein selten dämlicher Ausrutscher. Nein, keine Schuhe mehr. Und nie mehr hohe Absätze!
    Den Rest der hundertfünfzig Euro braucht sie für etwas Besseres: eine letzte Zigarette, die ihre allererste überhaupt sein wird, eine Henkersmahlzeit und ein paar Gläser vom besten spanischen Brandy. Carlos Primero. Das klassische Begleitprogramm für eine Hinrichtung eben. Dann tut es nicht ganz so weh, sich von der halbwegs verstandsbegabten Person zu verabschieden, für die sie sich bis vor wenigen Stunden gehalten hat.
    Nur gut, dass die schrullige Frau Schick im Hotel geblieben ist und auf die große Einkaufsrunde verzichten musste. Sie hat ein Paket Geschäftspost zu erledigen, mit dem sie kein Geringerer als der Chef des Palacio Basajun in Empfang genommen hat. Ein Brief schien besonders dringlich zu sein, den hat Frau Schick direkt aufgerissen. Dabei war er nicht einmal an sie adressiert, sondern an eine Thekla von Todden, und der Hotelchef hat ihn ihr nur ausgehändigt, nachdem geklärt war, dass diese Thekla von Todden tatsächlich tot ist.
    »In diesem Fall sollen Sie ihn lesen, Señora, so stand es im Begleitschreiben«, hat der Direktor gesagt. Nelly hat den merkwürdigen Dialog für Frau Schick übersetzt.
    Der Inhalt des Briefes hat die gute Fee in Frau Schick kurz versteinert und dann in eine Furie verwandelt, ganz hektisch ist sie geworden und hat Herberger wegen der im Jaguar vergessenen Wanderstöcke angeherrscht.
    Trotzdem war sie Nelly so beinahe lieber

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