Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
Freust du dich schon darauf, deine grauen verregneten Wochenenden auf der Krabbeldecke und vor dem Laufstall zu verbringen?
Ich versuchte, das Gestichel zu überhören.
In den Kirchen ist jetzt Hochsaison, sagte der Schweinehund schadenfroh. Deine Lieblingskollegin Walpurgis wird sich freuen, wenn sie deine Konzerte kriegt! Aber du kannst ja Paulchen dein Repertoire vorsingen!
Das war zuviel.
Walpurgis sollte kein einziges Requiem abstauben! Nur über meine Leiche!
Ich ging zum Telefon und rief meine frühere Agentur an.
Drei Wochen später fuhr ich zu meinem ersten Konzert. Ich war entsetzlich aufgeregt, hatte ich doch seit fast einem Jahr nicht mehr gesungen!
Paulchen klemmte in seinem Babysitz und knütterte. Mit der freien Hand steckte ich ihm alle drei Minuten den Schnuller wieder in den Mund, den er ungnädig ins Auto spuckte.
»Mih mih mih«, machte ich immer wieder, um zu überprüfen, ob meine Stimmbänder noch da waren, und »rabäh rabäh«, machte Paulchen, um zu beweisen, dass seine Stimmbänder auf jeden Fall noch da waren.
Um vierzehn Uhr war die Probe angesetzt, und zwar im norddeutschen Vlixta. Ich hatte telefonisch um ein Privatquartier gebeten, da ich einen Säugling mitbrächte. Der Dirigent fand das prima und hatte Paulchen und mich bei einem Landwirt in Vlixta-Dorf untergebracht.
Nach dreimal unterbrochener Fahrt mit Windelwechsel in der Autobahnraststätte und trotzig-selbstbewusstem Stillen in einer Ecke der Gaststätte – ja hätte ich mich denn aufs Klo verziehen sollen? – kam ich auf dem öden Kirchplatz von Vlixta an.
Mühsam kramte ich meine und des Babys Sachen zusammen, wuchtete den Kinderwagen aus dem Kofferraum, klappte ihn unbeholfen auf, wobei ich mir noch die Finger klemmte, hob das schlafende Bündel Paul aus seinem Kindersitz und hielt schließlich mit Koffer, Wickeltasche, Kinderwagen und zitternden Knien Einzug in die kalte Kirche.
Drinnen war ein Küster damit beschäftigt, Stühle zu rücken und Mikrophone zu installieren. Als er mich sah, schüttelte er den Kopf.
Ich setzte mich in eine Bank, stellte den Kinderwagen neben mich und begann zu vespern, indem ich drei Töpfe Milchreis mit Zimt in der Kirchenbank aufbaute.
Der Küster blickte zwar befremdet rüber, sagte aber nichts. Sein Geschraube und Gerücke hallte in der Kirche wider.
Mir war ziemlich schlecht vor Angst, aber ich musste was im Magen haben und würgte tapfer an des Reises rauer Rinde. Maria Würgine vom Nebenaltar sah mir dabei zu. Sie konnte sich mit Sicherheit in mich hineinversetzen. Dann warf ich einen Blick auf den immer noch schlafenden Paul, ließ vorerst meine Abfälle liegen und ging ein Klo suchen. Ein Klo ist vor Konzerten das Allerwichtigste, erstens wegen der bereits erwähnten Angstgeschäfte, zweitens, weil man dort relativ ungestört bei günstiger Akustik ein paar Tonleitern singen kann, und drittens wegen des Spieglein Spiegleins an der Wand: wer hat das schönste Stimmenband?
Frau Jammersängerin, ihr seid die Schönste hier, aber die Sopranistin hinter den Mauern des Aborts ist noch tausendmal schöner als ihr!
Als ich nach etwa zwanzig Minuten eingesungen und frisch geschminkt in die Kirche zurückkam, war der Kinderwagen weg.
Einsam lag die Wickeltasche in der Bank. Der Küster war auch weg. Entsetzen überfraute mich.
Mit klopfendem Herzen balancierte ich über Schnüre und Kabel, umrundete einen herumliegenden Kontrabass und wand mich zwischen Notenpulten hindurch. In heller Panik durchforstete ich die Sakristei, den dunklen Keller der Kirche und den öden verlassenen Parkplatz. Weit und breit war kein Kinderwagen zu sehen und auch kein Küster!
Gerade als ich in hilfloses weibliches Weinen ausbrechen wollte, fuhr ein Polizeiwagen vor der Kirche vor, dem ein Jungpolizist und der Küster entstiegen.
Der Küster war mitsamt Kinderwagen zur Polizei gegangen.
Im Nachhinein kann ich das sogar verstehen! Endlich tat sich einmal was im langweiligen Vlixta, und dann sogar noch in der öden, schmucklosen Kirche, die ihm seit über dreißig Jahren nichts anderes bot als Stühle rücken, Kerzen anzünden und Mikrophone schrauben!
Der Küster, der immer gern »Aktenzeichen: XY … ungelöst« schaute, war sich ganz sicher, in eine Art Entführungsdrama verwickelt worden zu sein. Da kam eine fremde Frau, brachte ein Baby in die Kirche und verschwand auf geheimnisvolle Weise. Zurück ließ sie nur eine Wickeltasche, die vermutlich Waffen oder Lösegeld enthielt, und einige
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