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Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)

Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)

Titel: Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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leergefressene Näpfe Milchreis, die mit Sicherheit dazu dienten, Heroin darin zu verstecken. Der Küster hielt es für seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, als verantwortungsbewusster Bürger der Stadt Vlixta diesen verdächtigen Vorfall sofort bei der Polizei zu melden. Obwohl es Samstagnachmittag war, traf er einen diensthabenden Wachtmeister an und konnte ihm seine schlafende Beute offerieren. Der Polizist, der erst einundzwanzig Lenze zählte, hatte Angst vor dem schlafenden Knaben, an dem wahrscheinlich ein paar Wanzen angebracht waren, und ließ ihn vorsorglich auf der Wache zurück, um zuerst einmal den Tatort zu sichern.
    »Da ist sie!«, schrie der Küster, rannte auf mich zu und ergriff krampfhaft meine Handgelenke. Inzwischen tauchten die ersten Chorsänger mit ihren Noten unter dem Arm auf. Freudig überrascht blieben sie stehen, um an dieser nicht alltäglichen Begebenheit teilzuhaben.
    Der Polizist kam ebenfalls herbeigesprungen und hielt mich fest. Er war wirklich noch sehr jung; nicht ein einziges Barthaar zierte seine kindlichen Wangen. Er roch nach Clearasil.
    »Wo ist mein Kind?«, fragte ich zittrig, weil ich ja noch nicht wusste, weshalb der Kinderwagen verschwunden und der Polizist aufgetaucht war.
    »Haben Sä das Känd än der Kärche abgestellt?«, fragte mich der Polizist in seiner unverwechselbaren Mundart, und der Küster schrie: »Hat sie, hat sie! Ich hab’s genau gesehen!«
    Aus lauter Panik schoss mir die Milch ein. Ein hilfloses Muttertier ohne sein Rehkitz! Sicher schrie es irgendwo nach mir und hatte Hunger! Ich fing an zu heulen!
    »Da, sehen Sie! Sie ist ertappt!«, brüllte der Küster in die staunende Runde. »Sagen Sie sofort, wer Ihre Hintermänner sind!«
    Doch Pauline gab ihm keine Antwort.
    Die Chorleute starrten. Immer mehr strömten zusammen und blieben in einem weiten Kreis stehen. Ich wollte zu Paul, und zwar sofort!
    Während ich versuchte, mich aus des Küsters eisenhartem Klammergriff zu befreien, spürte ich meine roten Flecke kommen, die mein Gesicht stets dann verunzieren, wenn ich unfreiwillig im Interesse der Öffentlichkeit stehe.
    »Kock ma, wie rot die werd«, sagte eine Bauersfrau zur Anderen.
    »Die hät bestämmt Dräck am Stäcken!«
    »Aames Ludä«, sagte eine Andere. »Die ist doch bestämmt eine ledige Moddä!«
    Der Polizist rief »Weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen!«, in die Menge, aber das wollte ihm keiner glauben.
    »Paul!«, schrie ich, »was habt ihr mit ihm gemacht?!«
    »Da siehe du zu!«, grollte jemand.
    »Trraibt doch däs Meedchen näch so en de Änge«, sagte ein Anderer.
    »Viellaich hät sä eine gänz vernönftege Erklärong för ähr Väholtn!«
    Er schien der Dorfälteste zu sein, jedenfalls hörte man auf ihn und ließ von mir ab. Ich rieb mir die schmerzenden Handgelenke und zog die Nase hoch. Jemand reichte mir ein bäuerlich-buntes Schnupftuch.
    »Ich bin hier engagiert«, schnaubte ich, »und ich habe mein Baby mitgebracht. Der Dirigent weiß Bescheid!«
    »Ach do däcker Schwogä«, sagte der Dorfälteste, »Hoin, däs koß dach ne Rrondä!«
    Der Küster wurde rot und sagte sauer: »Könnt ech doch näch wässen!«
    »Kann ich jetzt vielleicht erfahren, wo mein Kind ist?«, fragte ich.
    »Aufm Revier, inne Ausnöchterungszälle«, sagte der Polizist betreten. »Ach fohr Se hän!«
    Es war nur einmal um den Kärchplatz, also zum Glück nicht weit.
    Der dämliche Polizist hatte Paulchen sogar eingeschlossen, damit er nicht entwischen konnte! Bei Krämänällen weiß man ja nie, ob sie nicht schon von Kändsbainen an gefährläch und verschlügen sänd!
    Ich stürzte mich auf den Kinderwagen und riss das Kind heraus. Dank seines angeborenen Phlegmas schlief Paulchen tief und fest. Von seiner kriminellen Vergangenheit hatte er gar nichts mitbekommen.
    In einem ziemlich traurigen Triumphzug wanderten wir zur Kirche zurück, Paulchen, der Polizist und ich, begleitet von einigen Dutzend Schaulustigen.
    Das also war mein erster öffentlicher Auftritt nach über neun Monaten Pause.
    Kind, musst du denn auch überall gleich unangenehm auffallen.
    Nach der Probe, die leider zwei Mal unterbrochen werden musste, weil die Altistin, die ohnehin recht brüchig bei Stimme war, das Baby nähren musste, fuhr der Dorfälteste vor mir her zu jenem Bauernhof, auf dem wir untergebracht waren.
    Die Kunde von unserem nachmittäglichen Drama war uns vorausgeeilt. Überall wurden wir begafft, als kämen wir von einem anderen Stern.
    Die

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