Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
solle mir keine Sorgen machen.
Ich verschwand zum Einsingen im Gemeindehaus und überließ ihr das Kind. Da Paul schlief, war das nicht weiter problematisch. Maikäfer-flieg zog mit ihm über den Marktplatz ab. In einer Stunde solle sie wieder mal vorbeibrummen, rief ich ihr nach, weil ich Paul ja vor dem Konzert unbedingt noch abfüllen musste.
Das Einsingen war den Umständen entsprechend miserabel. Weil ich die halbe Nacht geheult und die restliche halbe Nacht gesäugt hatte, sprang die Stimme nur höchst unwillig an. Ein mütterlich-ausladendes Vibrato hatte sich meiner Stimmbänder bemächtigt, aber ich versuchte das zu ignorieren. In solchen miserablen Momenten des Lebens hilft nur noch »Hintern zusammenkneifen und durch«, eine Weisheit, die mir schon in der allerersten Gesangstunde mit auf den Weg gegeben wurde.
Ein Sänger, der sich miserabel bei Stimme fühlt, der die halbe Nacht vor Angst auf dem Klo verbracht hat und sich am liebsten im Alkohol ersäufen würde, tut eigentlich ganz gut daran, sich einen Panzer der Borniertheit anzulegen, damit niemand merkt, wie sterblich er ist. Das nur nebenbei.
Maike kam jedenfalls nicht wieder. Der Uhrzeiger rückte unbarmherzig weiter, der Kirchenchor versammelte sich daselbst zum Einsingen, die Klos waren pausenlos besetzt, und ich wanderte ruhelos im Abendkleid vor dem Gemeindehaus hin und her, immer nach einem sperrigen Kinderwagen Ausschau haltend, der von einem brummenden Maikäfer geschoben wurde. Der schwarze Kirchturm ragte düster gen Himmel, und graue Nebel wallten um seine Zinnen.
Mir gefror der Angstschweiß im Still-BH.
Was, wenn Maike etwas passiert war? Was, wenn ein fröhlicher Landmann sie in einen Busch gezerrt und den Kinderwagen in einen Weiher gestoßen hatte? Was, wenn Maike in einer Disco herumsummte und mein Paulchen irgendwo an einer dunklen Straßenecke abgestellt hatte? Die Glocken begannen zu läuten, scheppernd und dräuend hallte ihr schauriger Klang zu mir herüber.
Ihr Gläubigen, kommt und erlebt des Dramas zweiten Teil!
Das Baby ist schon wieder weg!
Gerade als ich überlegte, ob ich mit gerafften Röcken zum Polizeirevier hinüberlaufen sollte, um Paul eventuell aus der Ausnüchterungszelle zu holen, kam Maike fröhlich des Weges geschoben.
Hastig riss ich mir das Kleid vom Busen und rannte mit Paul in die Sakristei, wo schon der Herr Pfarrer und einige Messbuben erwartungsvoll den Weihrauchtopf schwenkten. Es war zehn Minuten vor acht. Die Kirche war bereits brechend voll. Überall wurden Geigen gestimmt und Fräcke angezogen. Es war ein heilloses Durcheinander. Ich wischte einfach ein paar Klamotten vom Stuhl, ließ mich darauf nieder und drückte Paul die Brustwarze in den Mund, ob er wollte oder nicht. Paul wollte übrigens nicht. Er war gerade erst vom Schlaf erwacht und fand nun die Geräuschkulisse und das Getümmel viel interessanter als die ewig gleich schmeckende Muttermilch.
»Kind, trink!«, rief ich nervös.
»Können Sie das nicht woanders machen?«, fragte der Pastor pikiert. »Schließlich sind hier Minderjährige!«
Die Messbuben glotzten fasziniert zu mir herüber.
Paul glotzte fasziniert zu den Messbuben hinüber.
Ich glotzte fasziniert auf die große Uhr an der Wand.
Noch acht Minuten!
Maike stand an der Tür und glotzte ebenfalls. Sie hatte ja keine Ahnung, was sie angerichtet hatte, die unschuldige Dorfmaid!
In dem Moment stolperte der Kirchenchor herein. Etwa sechzig rotwangige norddeutsche Bauersfrauen mit frischen Dauerwellen und zwanzig sangesfreudige Stallknechte im schwarzen Anzug defilierten an uns vorbei. Kein einziges Chormitglied enthielt sich eines kommentierenden Wortbeitrags, kein Einziges. »Wäll es näch tränken?«, fragte eine mitfühlend, und die Zweite sagte: »So’n Känd brauch doch Rohe!« – »Här es kaine Kräbbelstobe«, strunzte jemand, und »Hossu näch mal‘n Fotoäppärät dabai?«, scherzte ein Anderer.
»Konzert hat Verspeetung!«, rief jemand dem Dirigenten zu, und »Lasset die Kändlain zu mer komm!«, zitierte ein Frömmling.
Welch ein peinliches Spießrutensitzen.
Endlich fing Paul ein bisschen an zu saugen, aber nur ein bisschen, denn nun kam das Orchester an uns vorbei, auf dass ein viel größer Getümmel ward.
Zuletzt kam der Dirigent mit den drei anderen Solisten, die mich strafend anguckten. Hätte ich denn meine schlüpfrigen Privatangelegenheiten nicht vorher erledigen können?
»So, können wir jetzt?«, fragte der Dirigent und rieb sich
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