Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
nervösen Schrittes und versuchte dabei, mich noch ein wenig einzusingen. In unserem Quartier oberhalb des Ortes war das leider wegen eines Schreikrampfes von Sascha nicht möglich gewesen.
Ein geschäftiges Treiben herrschte. Der Chor, der gerade mit zwei riesigen Reisebussen angekommen war, ergoss sich wie eine Lawine in den Altarraum.
Die Orchesterleute rückten Stühle, stimmten ihre Instrumente und räumten Geigenkästen, schwere Mäntel und Koffer aus dem Weg. Der Dirigent stand mit der Dolmetscherin im Gang und verhackstückte irgendetwas.
Ich war die Unbekannte, die Neue, die als einzige noch nicht geprobt hatte und die man noch nicht mal vom Sehen kannte.
Meine Singversuche hallten von den steinernen Wänden wider und mischten sich dann in den undefinierbaren Geräuschteppich. Nervös hielt ich mich an meiner Stimmgabel fest. Sie war wieder mal meine einzige Freundin, die mir in dieser schweren Stunde beistand.
Nach einer nicht enden wollenden Fahrt mit Dauer-Terror von Sascha und ausgiebigen Beschwichtigungs-Pausen war ich nervlich, körperlich und stimmlich nicht gerade in Hochform. Meine Hoffnung, Frau Schmalz-Stange würde einmal das Steuer übernehmen, hatte sich auch nicht erfüllt. Natürlich habe sie einen Führerschein, sagte sie, aber Sascha dulde nicht, dass ein Fremder neben ihm sitze, da nur sie genau wisse, in welchem Korb sich welche Bilderbücher und Kassetten und Punica-Oasen befänden. Das richte sich beileibe nicht gegen mich persönlich!
Um nichts auf ihren Sohn kommen zu lassen, fügte sie hinzu, dass sie sich auch gar nicht zutraue, ein so großes Auto zu fahren, und dann noch im Ausland! Auch als ich ihr versicherte, dass die Autobahn in Frankreich immer geradeaus ginge und dass die anderen Verkehrsteilnehmer das Rechtsfahren beherrschten, war sie nicht bereit, mich einmal am Steuer abzulösen. Das musste ich akzeptieren. Schließlich war sie eine Erzieherin und keine Chauffeuse. Das war tarifvertraglich so festgelegt. Ganz klar.
Blöd nur, dass ich keine Sonderklausel für verzogene Einzelkinder miteingebaut hatte, zum Beispiel das Vorzugs- und Gewohnheitsrecht des Arbeitgebers, oben genannten Personen ab und zu mal eins auf die Rübe zu geben.
Nun aber zurück zur Kathedrale.
Obwohl alle Umstände gegen mich sprachen, fühlte ich mich seltsam befreit ohne meinen üblichen Anhang. Paulchen war satt und zufrieden, Sascha war doooorstig und unzufrieden, Frau Schmalz-Stange ging ihren erzieherischen Neigungen nach, und ich hatte meine Ruhe. Wenn man diesen Nervenkitzel hier so bezeichnen konnte. Ich sang mich ein und versuchte, mein Lampenfieber zu bekämpfen.
Das war nicht so einfach. Aus unerklärlichen Gründen war mein Nervenkostüm nicht so stabil wie sonst. Selbst die intensivsten Gedanken an Simon vermochten mich nur kurzzeitig abzulenken.
Auf der Suche nach einem abgeschiedenen Plätzchen, wo ich vielleicht mal drei Minuten unbeobachtet meine Tonleitern singen könnte, verzog ich mich einfach in einen Beichtstuhl, weil weit und breit kein anderes »Örtchen« der Einsamkeit zu finden war. Wahrscheinlich müssen Franzosen nie aufs Klo.
Ich hockte mich also auf das Armesünderbänkchen und dachte, wie praktisch es wäre, wenn da jetzt ein Loch drin wäre. Dabei überlegte ich, ob ich beim lieben Gott eine Chance hätte, wenn ich ihn jetzt um Hilfe bäte – mein letztes Sündenbekenntnis lag etwa fünfzehn Jahre zurück.
Nein, Kind. Gerechtigkeit muss sein. Jetzt kannst du nicht erwarten, dass dein schmerzensreicher Rosenkranz irgendwas bewirken könnte. Da brauchst du gar nicht im Beichtstuhl zu hocken! Die Heuchler und Gelegenheitsbeter haben keinen Anspruch auf Hilfeleistung!
Das sah ich ein.
Betrübt fingerte ich im Dunkeln nach meiner Stimmgabel, die ich neben mich auf die Bank gelegt hatte, da stieß ich mit der Hand an einen feuchtwarmen, dunklen Klumpen. Hatte sich hier doch schon jemand mangels Loch im Sitz nicht nur seelisch, sondern auch körperlich entschlackt?
Doch der dunkle Klumpen erschrak genauso wie ich, begann zu flattern, breitete zwei riesige schwarze Flügel aus, hob sich in die Lüfte und umsauste in der engen Zelle meinen Kopf.
Es war der Teufel persönlich! Er hatte meine Seele schon gekauft! Ich stieß einen gellenden Schrei aus und stolperte in höchster Panik aus dem Beichtstuhl. Hinter mir flatterte dieses schwarze Etwas, ich schrie, was meine Lungen hergaben, und rannte in Panik zum nächstbesten Menschen, der gerade arglos seine Geige
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