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Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)

Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)

Titel: Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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zufrieden gerülpst hatte und wieder eingeschlafen war, erschien Frau Schmalz-Stange mit Sascha in der Tür.
    »Wir fahren jetzt weiter!«, sagte ich, um Missverständnissen vorzubeugen.
    »Mamaaa! Ich will einen Goofy-Teller!«, sagte Sascha.
    »Ja, Sascha!«, sagte Frau Schmalz-Stange. Und zu mir: »Ich habe ihm einen Goofy-Teller versprochen, wenn er lieb ist.«
    »Dann ist ja alles klar«, sagte ich. »Wir fahren also weiter.«
    »Sascha war wirklich in der letzten halben Stunde im Auto sehr lieb«, sagte Frau Schmalz-Stange.
    Mir fiel der Unterkiefer runter.
    Kind, beschwöre keinen Ärger herauf, du brauchst die Frau noch.
    Ich atmete ein paar Mal tief durch, dann bestellte ich den verdammten Goofy-Teller und für mich einen Salat. Frau Schmalz-Stange wollte nichts essen. Paulchen auch nicht. Immerhin konnte Frau Schmalz-Stange dann ja Paulchen festhalten, während ich aß. Ich bildete mir ein, ich hätte sie irgendwann einmal als Kinderfrau eingestellt. Doch nein. Gerade als ich mir mit Lust eine halbe Gurke zum Munde führte, jammerte Sascha: »Mamaa! Schneid mir das DOOORCH!«
    Frau Schmalz-Stange reichte mir Paulchen, um Sascha seine lappigen Frikadellen durchzuschneiden. Ich wartete geduldig, bis sie den ganzen Goofy-Teller in mikroskopisch kleine Einzelteile zerlegt hatte.
    »Nich sooo!«, befahl Sascha. »Größer sollst du sie schneiden! «
    »Sascha!«, sagte ich warnend. »Du fällst mir auf die Nerven! «
    »Größer!«, jammerte Sascha, ohne mich im Geringsten zu beachten. »Du sollst mir die größer durchschneiden!«
    Frau Schmalz-Stange bedauerte, dass sie nun leider an den Frikadellen-Schnipseln nichts mehr ändern könne, woraufhin Sascha sich weigerte, auch nur noch einen Krümel Goofy-Brei zu essen.
    Während ich wutschnaubend meinen Salat weiteraß, befahl Sascha seiner Mutter, die Benjamin-Blümchen-Kassetten herzugeben. Mir hing vor Spannung das Blatt zum Munde raus, während ich beobachtete, wie Frau Schmalz-Stange in ihrem Utensilien-Korb kramte und ihrem Herrn Sohn fünf verschiedene Benjamin-Blümchen-Kassetten vor die Nase legte, damit er sich eine aussuchen könne.
    Er wählte nach einigem Hin und Her eine Benjamin-Blümchen-Kassette, die noch im Auto war. Ich vergaß das Kauen.
    Gerade als Frau Schmalz-Stange sich erheben wollte, um zum Auto zu gehen, befahl Sascha gnädig: »Bleib hier!«, und legte bereitwillig eine von den vorrätigen Kassetten ein. Mit unbewegtem Gesicht saß er dann vor seinem Goofy-Teller, den er nicht angerührt hatte, und das übliche alberne Gekreisch des Benjamin-Blümchen quoll unter seinem Kopfhörer hervor.
    »Ist Sascha immer so schwierig?«, fragte ich seine Mutter besorgt.
    »Er war ein Kaiserschnitt«, erklärte sie mir.
    Ach so, dachte ich. Kaiserschnitte dürfen so was. Wie gut, dass Paulchen eine Sturzgeburt war!
    »Meinen Sie nicht, dass Sie etwas zu nachsichtig sind?«, fragte ich vorsichtig.
    »Der Sascha ist sehr, sehr sensibel«, sagte Frau Schmalz-Stange. »Wenn mein Mann ihn mal etwas lauter anspricht, fängt er gleich an zu weinen. Der nimmt sich alles schrecklich zu Herzen.«
    »Ach je, der Arme«, sagte ich und winkte dem Ober, um zu zahlen.
    »Es tut mir ja auch leid, dass die Fahrt für ihn so langweilig ist«, sagte ich versöhnlich. »Konnten Sie Sascha denn nirgendwo anders unterbringen?«
    »Doch, schon, aber er wollte unbedingt mit«, war die Antwort. »Wenn er sich mal was in den Kopf gesetzt hat, dann will er es auch unbedingt durchsetzen«, fügte Frau Schmalz-Stange stolz hinzu, »er hat eine ungeheure Willenskraft.«
    Ich zahlte und nahm Paulchen auf den Arm.
    »Also dann! Wir haben noch einiges vor!«
    Am Ausgang bemerkte ich, dass mir niemand folgte. Erstaunt drehte ich mich um. Frau Schmalz-Stange versuchte gerade, ihrem Sohn eine Nachricht zukommen zu lassen, was nicht so einfach war, da er mit beiden Händen die Kopfhörer auf die Ohren drückte und dabei demonstrativ zum Fenster rausguckte. Sie bückte sich und redete auf den erreichbareren Kopfhörer ein, woraufhin sich Sascha zu ihr umdrehte und nach ihr schlug. Mir blieb die Spucke weg.
    Ganz langsam regten sich in mir Zweifel daran, ob Frau Schmalz-Stange die geeignete Person war, um meinem Sohn eine angemessene Erziehung angedeihen zu lassen. Aber darüber hatte ich ja noch genügend Zeit nachzudenken. Schließlich waren wir gerade erst an der Grenze.

Die Kathedrale von Belves-en-Petitcoat war anheimelnd riesig, dunkel und feuchtkalt. Ich durchwanderte sie

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