Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
gar nicht Anna Blau bin, sondern Pauline Frohmuth! Was gehet uns das an, werdet ihr denken, natürlich auf französisch, und da habt ihr aber recht geredt’. Hauptsache, die Töne haben gestimmt.
Von der Nachfeier zog ich mich alsbald zurück, denn der Rotwein floss in Strömen, und ich wäre in Kürze beides gewesen, frohmuth UND blau, wenn ich mich nicht meiner Stillpflichten erinnert hätte und müde in unser Quartier gefahren wäre.
Dort harrte Frau Schmalz-Stange mein; ihr Sascha hatte für heute das Zepter aus der Hand gelegt und schlief in seiner Hälfte des französischen Bettes, als könnte er kein Wässerchen trüben.
Während ich das von Frau Schmalz-Stange liebevoll bereitete Stangenbrot mit Käse (nicht mit Schmalz!) heißhungrig verzehrte, lebte Paulchen eine Textstelle meiner Arie aus: »Labe die Brust, empfinde die Lust.« Er schmatzte so genussvoll, dass Tante Lilli ihn wahrscheinlich trotz seines jugendlichen Alters an die in unseren Kreisen herrschenden Tischmanieren erinnert hätte.
Ich blickte Frau Schmalz-Stange an und fand sie eigentlich furchtbar nett.
Am nächsten Tag waren die Teile 4-6 angesagt, das ist verdolmetscht: Die Altistin kann sich einen schönen Lenz machen. Ich schlief erst mal ausgiebig meinen Rausch aus, jedenfalls versuchte ich mein Bestes. Paulchen wollte ab und zu mal an meinem Busen nagen, was gestattet war, und Sascha wollte außerhalb des Schlafzimmers an meinen Nerven nagen, was nicht gestattet war!
Zwei Mal stand ich im Nachthemd auf und schlug Frau Schmalz-Stange vor, doch mal mit den Kindern ins Dorf zu gehen. Sie hatte aber die Einstellung: »Wusstest du nicht, dass ich bei dem sein muss, was meines Arbeitgebers ist?« und konnte gut noch ein paar Stunden mit mir wachen. Leider. Ein bisschen mehr Selbständigkeit wäre nicht schlecht gewesen. Wo sie doch so eine angenehme, gediegene Person war.
(Kind, die kann man gut um sich haben.)
Sie schon, allein, mich nervt der Sascha.
Sascha fuhr nämlich heute noch mal die gesamte Strecke der Hinreise nach, und zwar auf allen vieren direkt vor meiner Schlafzimmertür, und das Auto hatte wohl einen defekten Vergaser oder so was, jedenfalls machte es einen Höllenlärm. Außerdem fuhr es über eine kurvenreiche Strecke, denn zu dem Knattern kam alle fünf Sekunden ein ohrenbetäubendes Bremsenquietschen.
Was der Junge doch für eine schöpferische kreative Phantasie hatte! Die soll man auch nicht unterbinden, auch wenn sie vor der Kammertür einer gestressten Kammersängerin ausgelebt wird. Kinder sind eben spontan.
Später am Nachmittag packte ich Paulchen in den Kinderwagen und machte einen ausführlichen Spaziergang durch das sonnenbeschienene Städtchen. Frau Schmalz-Stange hatte ich ausdrücklich gestattet, ihre Freizeit ohne mich zu verbringen.
In vorweihnachtlicher Betriebsamkeit zogen die Leute, französisch plaudernd, an den freundlich dekorierten Schaufenstern vorbei. Überall hingen Plakate, auf denen unser Weihnachtsoratorium angekündigt wurde.
»Lundi, 18. decembre, et mardi, 19. decembre, 21 h 30 précises. (Eglise chauffée.)
Histoire noël de Jésus Christe de J.-S. Bach.
Les choeurs de Cologne et un ensemble chambre-séparée-musique-orchestre.
90 exécutants!
Les solistes …
Direction …«
Und dann unsere Namen, außer meinem natürlich, weil ich ja für Anna Blau einsprang, deren Stimmbandentzündung ich als persönliches Geschenk des Himmels ansah.
Sehr glücklich und still vor mich hin verliebt in das Leben schob ich den Kinderwagen über das Kopfsteinpflaster des alten, gemütlichen Städtchens.
Wieder so ein Moment, in dem ich meinen Beruf über alles liebte!
Ich durfte reisen, ich durfte die Welt genießen, ich durfte auf der Sonnenseite des Lebens stehen!
Andere Frauen meines Alters und Intelligenzquotienten stehen vielleicht auf der Schattenseite des Bankschalters oder hocken acht Stunden lang vor dem wechselhaften Gewitter des Computers, um irgendwelche Listen einzutippen! Ihre einzigen Ausflüge führen ins Zimmer des Chefs, wo sie Kaffee servieren und Diktate aufnehmen müssen!
Wieder andere Frauen meines Schlages müssen sich mit anderer Leute unerzogener Brut herumschlagen und täglich sechs Stunden vor lärmenden Schulklassen um Gehör kämpfen! Das eine musste ich ja zugeben: Ich musste niemals vor lärmendem Publikum um Gehör kämpfen. Die Leute, die zu Kirchenkonzerten kamen, konnten sich alle irgendwie benehmen und taten zumindest höflichkeitshalber so, als ob
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