Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
sie mir zuhörten. Meistens jedenfalls. Natürlich, alle diese anderen Frauen erleben vermutlich nicht täglich den inneren Weltuntergang, wenn sie kurz vor einem Konzert kein Klo mehr finden oder das Kleid nicht zugeht oder die Töne im Halse stecken bleiben. Diese Frauen gehen natürlich abends nach getaner Arbeit nach Hause, legen die Beine hoch und eine Gurkenmaske auf das Gesicht und sehen sich anregende Fernsehserien an, um ihren Pulsschlag wenigstens dadurch noch ein bisschen zu erhöhen.
Ich selbst bin oft vor Konzerten so aufgeregt, dass ich nicht begreifen kann, wieso die Leute einfach so geradeaus gehen und Straßenbahn fahren oder im Supermarkt banale Dinge wie Brot und Käse kaufen.
Einmal hatte ich in Berlin ein Vorsingen im Theater des Westens. Es ging um ausgewählten Nachwuchs aus der ganzen Bundesrepublik, der sich nun vor sämtlichen Intendanten und deren Verwandten vorstellen sollte.
Ich empfand es als ungeheure Zumutung, über den brechend vollen Kurfürstendamm zum Theater des Westens gehen zu müssen. In meiner blinden Angst vor dem Vorsingen kam es mir absurd vor, dass die Menschenmassen auf dem Kudamm keine Gasse für mich bildeten, wo ich doch auf dem Weg zum Schafott war!
Selig sind, die Verfolgung leiden.
Gesegnet sei, der damit nichts zu schaffen hat!
Baldur Aladin zum Beispiel hatte nichts zu schaffen mit diesen Gefechten. Zudem war er nicht die Spur arrogant. Er behandelte mich von Anfang an als Kollegin, obwohl er im Leben noch nicht meinen Namen gehört oder meine Stimmbänder gegen das Licht gehalten hatte. Er hatte es nicht nötig, mir zu demonstrieren, dass er der weltberühmte Kammersänger und ich die kleine Vorstadt-Callas war.
Anders Schweinebacke. Er war auch ein verhältnismäßig kleines Licht am Sternenhimmel der tausend Stimmbandjongleure, und gerade deshalb wollte er sich ganz entschieden von mir abgrenzen. Damit das mal ganz klar war! Eine Pauline Frohmuth aus Köln war ihm, dem Bassisten Werner Wildebold aus Bad Rotzingen, noch nie begegnet!
Deshalb war es nicht an ihm, das Wort an mich zu richten! Wo kämen wir denn da hin, wenn Werner Wildebold mit jedem blassen Mädel aus dem Einspringermilieu reden wollte!
Die Sopranistin war auch nicht bekannt. Dafür aber sang sie zauberhaft und sah wie gesagt genauso aus! Ich war sicher, sämtliche 90 exécutants würden ihr rettungslos verfallen, inklusive Schweinebacke und dem Fledermausgeiger. Schade.
Kind, jetzt ist es aber genug! Kaum dass dein Simon Reich außer Reichweite ist, da denkst du schon wieder an irgendwelche Geiger!
Inzwischen war die südfranzösische Dezembersonne hinter den Giebeln der Altstadthäuser versunken. Die Laternen gingen an, und aus den Schaufenstern strahlte warmes, einladendes Licht.
Paulchen und ich, wir schlenderten in zufriedener Glückseligkeit durch die lauwarme Weihnachtsstimmung. Es duftete nach frischen Baguettes.
Ich überlegte, was ich Simon Reich zu Weihnachten schenken könnte. Und Klaus Klett natürlich. Meinem Kindsvater wollte ich auch eine Kleinigkeit zukommen lassen. Beiden kaufte ich schließlich eine überdimensionale Henkeltasse mit der Aufschrift »Petit déjeuner«. Eine von beiden Tassen würde ich wohl täglich in meiner Heimat wiedersehen, aber WELCHE? Und an welchem Frühstückstisch?
Et kütt wie et kütt, seufzte ich ergeben und schlenderte mit meinen beiden Henkelmännern weiter.
Wenn ich doch nur immer mein Paulchen bei mir haben könnte! Irgendwie ahnte ich, dass Frau Schmalz-Stange nicht mehr lange bleiben würde. Den Kampf gegen Sascha würde ich über kurz oder lang verlieren. Nicht zu fassen, dachte ich kopfschüttelnd, dass frau sich, um berufstätig sein zu können, dermaßen in die Abhängigkeit von Fremden stürzen muss. Männer müssen das nicht. Die sind berufstätig und haben auf jeden Fall eine Frau daheim, ob nun verwandt oder verschwägert. Und mit ihrer Brut haben sie nichts am Hut. Ungerecht ist das.
Heute Abend hatte ich nicht viel zu tun.
Entspannt und fröhlich hockte ich auf meinem Strohstühlchen und beobachtete die Anderen.
Wunderschön sang wieder mal diese bezaubernde Frau am Sopran. Sie hieß Antje, ich fand, der Name passte gut zu ihr. Antje Zier. Ihre schlanke Gestalt steckte in einem nachtblauen Gewand, das mit irgendwelchem Glitzerzeug besetzt war. Immer wenn sie atmete oder sich bewegte, funkelte die ganze Antje. Sie war eine Zier.
Baldur Aladin war wieder bestens bei Stimme. Auch bei der Stelle »Da das der König
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