Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
stimmte, um mich an ihm festzukrallen. Dabei zog ich den Kopf ein und verkroch mich an des fremden Geigers Brust.
Inzwischen nahm der Chor voll Freude an diesem kleinen Zwischenfall teil. Man johlte und lachte und feuerte die verschüchterte Fledermaus an, die in ebensolcher Panik wie ich einen stillen Winkel zum Verkriechen suchte.
Der Geiger tätschelte verlegen meinen Rücken.
»Ist ja gut, es war doch nur eine Fledermaus!«
»Ach so, dann ist’s ja kein Grund zur Aufregung«, versuchte ich zu scherzen. »Haben Sie schon mal im Dunkeln in eine Fledermaus gefasst?«
Der Geiger musste zugeben, dass er das nicht habe, und ich schnaufte, dass er überhaupt keine Ahnung habe, wie ekelhaft sich eine schlafende Fledermaus anfühle.
»Vielleicht hat sie gar nicht geschlafen, sondern nur meditiert«, sagte der Geiger.
»Oder gebeichtet«, sagte ich.
Wir lachten herzlich. Dabei vergaß der Geiger ganz, mit dem Tätscheln aufzuhören.
Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Man sollte öfter mal schlafende Hunde wecken.
Obwohl wir so gut wie nicht geprobt hatten, und obwohl der Dirigent sich ja schon seelisch auf Frau Kammersängerin Anna Blau eingestellt hatte, konnte ich vor seinen Ohren bestehen. Dem südfranzösischen Publikum auf den kleinen, eng beieinanderstehenden Strohstühlchen war es ohnehin egal, welchen Rang und Namen die ausländischen Interpreten da vorne waren.
Der Tenor war der berühmte Baldur Aladin, ein kleiner, drahtiger Mann mit hellen Augen und einer wunderschönen Stimme, die scheinbar ohne jede Mühe die schroffen Klippen der Tenorpartie umschiffte. Johann Sebastian hat sich in einem offensichtlichen Anfall von Abneigung gegen Tenöre damals Übles einfallen lassen. Jedenfalls habe ich schon eine Menge Tenöre an der berüchtigten Klippenarie zerschellen sehen.
»Geht, die (Schaden-)Freude eilt so schön«, heißt es darin, und ich habe noch keine Aufführung erlebt, in der der Tenor nicht eines grausamen Todes durch den Strang gestorben wäre. Außer Baldur. Der sang das. Einfach so. Es gibt doch noch Profis unter den Sängern. Wer hätte das gedacht.
Der Bass war ein völlig aufgeblasener, eingebildeter Kerl, der beim Singen aussah wie ein ungezogener Frosch. Auch er war mit dem Privatwagen da, weil es für ihn eine Zumutung war, mit den Chorknüppeln in einem Bus sitzen zu müssen. Sein Wagen war irgendwas Schwarzes, Schnelles, Windschnittiges. Der Kerl brachte es fertig, mit seiner Kiste so dicht vor den Kircheneingang zu fahren, dass alle hundert Mitwirkenden den Bauch einziehen und ihre Instrumente über dem Kopf balancieren mussten, um überhaupt durch die Tür zu kommen. Während der Probe hatte er pausenlos den Autoschlüssel an einem albernen Maskottchen in der Hand und ließ ihn herumbaumeln. Jeder sollte sehen, dass er a) ein schnelles Auto besaß und b) nur mal eben auf einen Sprung vorbeigekommen war, um seine Töne abzulassen, wenn es denn schon nötig war. Ich nannte ihn Schweinebacke, weil er so feist war und sein Kinn bei den Koloraturen schlabberte. Welch ein himmelschreiender Kontrast zu meinem geliebten Simon! Ach, warum konnte der nicht hier sein und die Basspartie singen! Dann wäre ich vor lauter Glück wahrscheinlich gestorben. Man soll es nicht übertreiben. Gib dich zufrieden und sei stille. Obwohl ich gerade dafür nicht bezahlt wurde.
Die Sopranistin hieß mit Nachnamen Zier. Das war sie auch, eine Zier. Eine absolut liebreizende Erscheinung, schlank, grazil und hübsch. Sie sang genauso, wie sie aussah. Wie man unter Sängern sagt: Leider gut.
Eine Theorie von mir, die übrigens auf fast alle Sänger zutrifft, ist, dass sie so singen wie sie aussehen.
Kind, was bist du arrogant.
Wieso, das gilt doch auch für mich!
Sag ich ja: Was bist du arrogant!
Bei meiner Violin-Solo-Arie nahm ich erfreut aus dem Augenwinkel zur Kenntnis, dass es sich bei dem Geiger um jenen Menschen handelte, der mich vor dem flatternden Luzifer gerettet hatte. Da wir uns von Anfang an mochten, verlief unser Zusammenspiel sehr stimmig.
Recht glücklich sank ich nach meinem letzten Rezitativ auf das Strohstühlchen zurück. Trotz aller Widrigkeiten war der liebe Gott auf meiner Seite gewesen und hatte mich noch einmal mit einem blauen Auge davonkommen lassen.
Seid froh dieweil! rief der Chor, und das war ich dann auch. Tiefbewegt und glücklich erschöpft jubilierte ich den Schlusschoral mit. Ach, ihr angefocht’nen französischen Seelen! Wenn ihr wüsstet, dass ich
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