Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
lassen. Nur, bei wem? Klaus Klett würde nicht seinen Beruf aufgeben, um Kindergärtner zu werden. Da war er leider eigen. Und mit Frau Schmalz-Stange konnte ich nicht mehr rechnen. Zumal sie mir schon angekündigt hatte, dass sie wegen Saschas sechstem Geburtstag demnächst eine Woche freinehmen müsste.
Falls ich jemals wieder zu einem Konzert fahren würde, müsste ich vorher eine völlig unabhängige Vierundzwanzig-Stunden-Frau gefunden haben. Am besten eine, die nicht mehr als fünfzig Pfennig pro Stunde kostete. Vielleicht sollte sie mal nachts um drei im Hauptbahnhof nach potentiellen Bewerberinnen Ausschau halten! Ich war schon wieder fix und fertig. So ein elender Beruf! Welche Strapazen, welche Umstände, welche Not, Gefahr und Ungemach!! Und das alles nur, um ein paar Töne abzuliefern, die genauso gut irgendeine französische Land-Callas aus dem näheren Umkreis von Montcluton von sich geben konnte!
Ob ich nun in Montcluton singe oder in China fällt ein Sack Reis um, dachte ich, das ist völlig egal. Aber ob Paulchen in Gefahr ist und bei minderbemittelten Fremden verwahrlost, das ist nicht egal!!
Kind, wie konntest du auch wieder. Bleib nächstens mit dem Hintern zu Hause, wie es deine Mutterpflicht ist.
Als wir in Montcluton ankamen, war ich schweißgebadet und zitterte am ganzen Leibe. Schweinebacke nahm seinen Autoschlüssel, nachdem er den schwarzen Flitzer fast in einem Beichtstuhl eingeparkt hatte (und stand er immerhin in Greifweite vom Taufbecken), wedelte mit dem Schlüsselbund wie ein Schläger und schlenderte, Eukalyptus-Wolken verströmend, zur Stellprobe.
Ich wankte mit wackeligen Waden davon, auf der Suche nach einer Toilette. Erstens war mir schrecklich schlecht, und zweitens tropfte mein Busen vor lauter Stress und hormonellem Chaos.
Da hockte die Diva auf einem südfranzösischen Donnerbalken, pumpte ab und goss die kostbare Milch ins Klo. Ich hasste Sascha, ich hasste Schweinebacke, ich hasste meinen Schweinehund, der mich immer zur Karriere anstachelte. Warum konnte ich nicht, wie andere Mütter auch, auf dem städtischen Sandkastenrand sitzen und gedankenverloren sandige Förmchen ausklopfen?
Ach, ihr angefocht’nen Seelen von Montcluton! Wenn ihr es wüsstet, was die Solistin im Abendkleid mit der üppigen Oberweite unterm lila Dekollete alles durchlitten hat!
»Was gehet uns das an«, werdet ihr denken, »da siehe du zu!« Hauptsache, die Töne haben gestimmt.
Am nächsten Morgen verkündete mir Frau Schmalz-Stange, dass Sascha entschieden habe, überhaupt nicht mehr zu irgendeinem Konzert mitzufahren. Er gedenke, bis zum Ende der Tournee in diesem Chalet sitzen zu bleiben und Benjamin-Blümchen-Kassetten zu hören. Ich holte tief Luft und schwieg still.
Im Übrigen, sagte Frau Schmalz-Stange, habe es mit der Milupa-Milch hervorragend geklappt. Sie sagte zwar nicht: Also, was bilden Sie sich eigentlich ein, aber ihr Tonfall war genauso. Im Grunde hätten wir Sascha doch eine Menge zu verdanken. Zumal ich sicherlich viel entspannter wäre, wenn ich allein zu den Konzerten führe.
»Und meine Milch ins Klo schütte«, sagte ich düster.
Frau Schmalz-Stange hob die Schultern und sagte weise: »Tja …!« Warum stillst du auch, Frau. Karrierefrauen stillen nicht. Du kannst nicht alles haben!
Kind, du willst wieder alles hundertfünfzigprozentig machen, und so schaffst du wieder nichts Halbes und nichts Ganzes.
Sascha warf sich auf die Erde und machte sehr laut und sehr provokant: »Brrrm, brrrm, brrrmmm!!!«
»Nun denn«, sagte ich, »dann muss ich mich also dreinschicken.« Und ging hinaus und weinte bitterlich.
Nachmittags rief Schweinebacke an. Ob ich wieder mitfahren wolle. Er schien Gefallen an mir gefunden zu haben. Vielleicht war er aber auch nur zu sozialen Handlungen aufgelegt. Sitzengelassene Kollegin mit unehelichem Kind im Auto mitnehmen: Das gilt bei den Pfadfindern von Bad Rotzingen bestimmt als gute Tat. Da es diesmal über hundert Kilometer waren und ich keine Lust auf eine lange Fahrt allein hatte, stimmte ich zu.
Er sagte, dass es »broktischer« sei, dort zu übernachten, da die nächsten beiden Konzerte noch weiter südlich stattfinden würden. Wenn ich nicht neben Schweinebacke schlafen musste, war mir alles recht. Ich packte also meinen Koffer und ließ mein Paulchen bei Familie Schmalz-Stange zurück.
Mit einem sehr dicken Kloß im Hals saß ich neben dem bayrischen Froschgesicht, das abermals Eukalyptus-Bonbons wiederkäute. Der vertraute
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