Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
Kinderwagen im Rückfenster wurde kleiner und immer kleiner. Das Letzte, was ich sah, war Sascha, der in fröhlichen Sprüngen vor der Auffahrt herumtollte. Er hatte den Kampf mit mir mit allen Mitteln durchgefochten. Und gewonnen. Da soll noch einer sagen, dass Kinder arme, kleine, machtlose Würmchen sind.
Nach dem Konzert konnte ich zum ersten Mal mit zur Nachfeier. Sie fand im historischen Rathaus statt. Mein alter Schweinehund kroch mit morschen Knochen aus seiner Hütte und rieb sich die Pfoten:
Auf, ins Gewühl! Und dem Rotwein gefrönt! Wenn du schon deines Kindes und auch sonst allen nervenaufreibenden Anhangs ledig bist, kannst du auch mal wieder so richtig auf den Putz hauen!!
Nur meines Busens war ich nicht ledig. Zuerst musste ich mich mal irgendwohin verziehen. Da es mit den Sozialeinrichtungen im alten Rathaus knapp bestellt war, konnte ich die Wenigen natürlich nicht dauerbesetzen.
Also schlich ich in dem alten Gemäuer herum, nach einer stillen Ecke suchend, in der ich unbeobachtet pumpen konnte.
Da dergleichen nicht zu finden war, stahl ich mich einfach in das Empfangszimmer des Bürgermeisters, setzte mich hinter seinen Schreibtisch und machte mich ans Werk. Dabei hoffte ich inständig, dass niemand plötzlich hereinkommen und die Diva bei ihrem absonderlichen Tun ertappen würde!
Auf dem Schreibtisch stand eine angebrochene Flasche Champagner. Wahrscheinlich hatte der Bürgermeister sich vor dem Empfang bereits etwas Mut angetrunken, denn so eine Horde deutscher Musiker im vollendeten Stadium ihres Konzertschaffens – merke: Das Beste an einem Konzert ist immer das erste Glas danach! – sind ja keine Kleinigkeit!
Da Monsieur leider kein Glas für mich dort hatte stehen lassen, blieb mir nichts anderes übrig, als den guten, teuren Champagner aus der Flasche zu trinken!
Kind, was habe ich dir immer gepredigt! NICHT aus der Flasche trinken! Könnte ‘ne Wespe drin sein!
Nun kam alles viel besser in Fluss. Verbunden mit dem starken Gefühl von Mutterfrust, Selbstmitleid und Trotz, lief alles wie von selbst!
Endlich durfte ich mal meine Muttermilch alkoholisieren, hurra!
Mein Schweinehund hatte nach kürzester Zeit einen herrlichen Schwips und torkelte vergnügt vor seiner Hütte auf und ab.
Heute Abend reißt du den Geiger auf, hicks!
Nei-en! Ledig sei der Mensch, nüchtern und ernst!!
Und du reißt wohl den Geiger auf, das Leben ist kurz genug!
Aber Simon im fernen Morgenland! Was wird er sagen?
Besser ein Geiger in der Hand als ein Sänger auf dem Dach!
Als die Milchflasche voll und die Champagnerflasche leer war, suchte ich ziemlich intensiv nach einem Ausguss. Doch das einzige Gefäß außer der leeren Champagnerflasche war eine Bodenvase in der Ecke des Zimmers. Es steckten ein paar ältliche Astern darin.
Ich sah mir also dabei zu, wie ich meine gute, mit Champagner angereicherte Muttermilch in die Blumenvase kippte, und beobachtete dann mit halb zusammengekniffenen Augen die Astern. (Und der Kapaun ließ die Flügel hängen!) Ich stellte mich wie einst Scarlett O’Hara in Positur, hob meine Faust gen Decke und schwor dazu: Wenn ich jemals über die zweifelhafte Karriere einer Frau einen Roman schreibe, dann kommt diese Stelle darin vor.
Dann packte ich mein Zeug zusammen und torkelte vergnügt zum Sektempfang.
Prost, liebe Freunde und Förderer deutscher Sangeslust! Hier kommt die beschwipste Diva, zu allen Schandtaten bereit!
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich den Abend genoss wie ein Häftling seinen Ausgang. Endlich war ich mal wieder ganz allein unterwegs, endlich musste ich nicht auf die Uhr sehen, ob das Baby wohl Hunger haben könnte, endlich sah ich nicht an jedem Türrahmen Frau Schmalz-Stange lehnen, von dem renitenten Sascha ganz zu schweigen. Ich war frank und frei und angenehm beschwipst wie anno dazumal und von einer nicht zu bremsenden Unternehmungslust. Zuerst gestalteten der Geiger und ich den steifen Stehempfang zu einem echten Happening um, indem wir alle Anwesenden, inklusive Bürgermeister, Kultusminister und des Herrn Bischof mit lila Käppi, zum mehrstimmigen Gesang von altbekanntem deutsch-französischen Liedgut anstifteten.
Dann lieferten wir mithilfe einiger eingeschworener Impro-Freaks allerhand Jazziges aus dem Schatzkästlein der internationalen Ohrwürmer. Dabei floss der Rotwein in Strömen. Irgendwelche Förmlichkeiten wie Festreden, Händegeschüttel und steifkragiges Herumstehen wurden im Keim erstickt. Es war großartig.
Antje
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