Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
machten noch einen langen, mitternächtlichen Spaziergang. Die Glocken läuteten weihnachtlich, und Klaus legte den Arm um mich. Unter seinem Edelmut wollte ich fast zusammenbrechen. Irgendwie musste ich mich noch ein bisschen rechtfertigen.
»Du hast ja auch mal eine längere Aus-Zeit genommen«, sagte ich. »Als ich schwanger war.«
»Und nicht wusstest, von wem.«
»Na gut. Jetzt wissen wir’s. Jetzt nehm’ ich mal ‘ne Aus-Zeit.«
»Steht dir dienstgradmäßig zu, ganz klar.«
»Nimm mich gefälligst ernst, du Halbintellektueller!«
»Fröhliche Weihnachten«, sagte er und lachte mich an. Er hatte Schnee im Bart.
»Fröhliche Weihnachten«, sagte ich, stellte mich auf die Zehen und küsste ihm die Kratzbacke.
»Eigentlich ist es ab und zu ganz nett mit dir!«
»Ich weiß«, sagte Klaus, und dann gingen wir weiter.
Das neue Jahr brachte einige Veränderungen. Frau Pupke zog bei uns ein, mit Sack und Pack und allerlei altjüngferlicher Habe. Hier und da lag nun ein selbstgehäkeltes Spitzendeckchen oder Sofakissen in ihrer Lieblingsfarbe Rosé und verlieh unserer Wohnung ein völlig neues Outfit, knapp an meinem Geschmack vorbei, leider. Auf dem Klo hatten die Ersatzrollen fliederfarbene Häubchen auf, und über der Tür hing ein gestickter Spruch: »Komm herein, bring Glück herein.« Ich musste mich schütteln, sooft ich ihn sah, aber Frau Pupke hatte sich diesen Spruch zur Aufgabe gemacht: uns Glück zu bringen, und zwar mit aller Gewalt!
Sie habe nie eine Familie besessen, erzählte sie am ersten Abend, und nun habe sie auf einen Schlag zwei erwachsene Kinder UND einen Enkel! Wenn das kein Grund zur Begeisterung war!
Wir guckten uns bedeutungsvoll an, Klaus und ich. Frau Pupke wusste nichts von der Beschaffenheit unserer Beziehung. Frau Pupke nannte mich Frau Doktor! Antje Zier hätte gejubelt! Meinetwegen sollte Frau Pupke mich Frau Professor nennen oder Frau Kammersängerin oder Frau Kommerzienrat! Hauptsache, ich konnte nun endlich meiner nicht zu unterdrückenden Berufung nachgehen. Meiner Selbstverwirklichung stand nichts mehr im Wege! Meine unregelmäßigen Arbeitszeiten machten ihr anscheinend nichts aus, im Gegenteil. Hauptsache, sie konnte sich mitsamt ihrem Sorgetrieb bei uns hemmungslos entfalten. Endlich schien ich die Richtige gefunden zu haben.
Am ersten Abend unserer Dreisamkeit saßen wir alle in trauter Runde zusammen. Frau Pupke strickte an einem reizenden Ensemble »in blö«, trank ihren selbstgebrauten Beerenmost und sagte selig: »Sie passen viel besser zum Herrn Doktor als die Irene!« Ich nickte erfreut. So was hört man doch immer wieder gern. Ach Antje, wenn du das erleben könntest!
Klaus hustete verlegen und sagte, dass er jetzt gerne die Tagesschau sehen würde.
Also machten wir es uns zwischen den spitzenbesetzten Kissen bequem und guckten erwartungsvoll in die Röhre, Urahne, Großmutter, Mutter und Kind.
Frau Pupke, die sich aus verständlichen Gründen nicht für Politik und Wirtschaft interessierte, redete anfangs ein bisschen dazwischen. Seit sie bei uns wohnte, nämlich seit acht Stunden, redete sie überhaupt ein bisschen viel. Wie nicht zu überhören war, stammte sie aus dem Kohlenpott. Während Klaus mit größtem Interesse die Entwicklung der politischen Wende verfolgte, sagte sie in dem ihr eigenen kindlichen Tonfall:
»Die Irene war irgendwie nie lieb zu dem Klaus, ich weiß aunich, wie ich dat erklären soll, wissen Se, wie soll ich sagen, also ich meine, äm, so wie Mann und Frau normalerweise sind, so’n bisschen nett zueinander, dat war die nie, die Irene!«
Da ich schwieg und Klaus angestrengt versuchte, den Nachrichtensprecher zu verstehen, fühlte sie sich bemüßigt, ihre Aussage noch ein wenig zu verdeutlichen.
»Wissen Se, wie ich dat meine, Frau Doktor? Wissen Se!?«
»Jaja«, sagte ich, und dann machte ich schnell eine Bemerkung, die das Nachrichtenprogramm betraf. Klaus nickte und machte auch schnell eine Bemerkung, die das Nachrichtenprogramm betraf. Der Nachrichtensprecher hielt zu uns. Er machte auch eine Bemerkung, die das Nachrichtenprogramm betraf.
Frau Pupke jedoch war mit ihrer Abhandlung noch nicht ganz fertig, erst recht nicht, da niemand ihre Aussage bestätigte.
»Wissen Se, man kann sich ja mal ein bisschen an den Mann anschmiegen, dat haben die geane! Woll, Klaus?! Woll?! Dat haben die geane, die Männa, wenn die Frauen en bißken, wie soll ich dat getz sagen, ich sage mal, äm, also en bißken anschmiechsam …«
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