Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
zusammengenommen hatte.
»Ich sach, Walta!«, antwortete Frau Pupke und guckte mich fragend an. Jetzt hatte sie den Faden verloren!
»Es ist so schön draußen, wollen Sie nicht erst ein bisschen mit Paulchen an die frische Luft gehen?«, fragte ich und hob Paulchen von der Erde auf. »Ich setze ihn Ihnen in den Wagen!«
»Nein, lassenSema, das brauchen Se nich!«, rief Frau Pupke und zerrte an Paulchens Ärmel. »Setzen Se den Paul wieder hin! Ich mach dat schon! SIE müssen ja arbeiten! Wir können dat schon allein, woll, Paul! Was? Wir können das alleine, alleine können wir das, woll!!« Letzteres kam unter demonstrativem Ächzen. Sie hob Paulchen auf und ließ dabei die Wolle fallen. Ich hoffte, sie würde das nicht bemerken.
»Wo war ich stehengeblieben!«, sagte Frau Pupke. »Was? Ach so, von wegen Walta, woll, Walta is mein Bekannta. Ich tu dem schomma die Hemde waschen, woll? Ich sach für den Walta, Walta, sarich, ich sach, Walta …«
Ihr Redeschwall war nicht zu bremsen. Ich lugte unauffällig auf die Uhr. In einer Stunde wollte ich im Konzertsaal sein! Vorher musste ich mich noch umziehen und mindestens fünf Mal aufs Klo, des war ich gewiss. Während Frau Pupke weiterredete, überlegte ich, welche Strecke ich fahren sollte und wo es die meisten Toilettenhäuschen am Wegesrand gab.
»Was sagen Sie denn dazu, dass die Kinder heutzutage viel größer sind als früher? Was? Is doch so, oder? Woll? Happich nich recht? Fragen Sema den HERR Dokta, Frau Dokta! Der weiß dat bestimmt! Woll? Ich hab doch recht, woll? Sind doch heute einfach größa, die Kinda, als früha, woll? Wollnich? WOLL? Sagen Se mal! Woll?«
Beim Thema »WOLL« dachte ich wieder an die Wolle, die ja der Ausgangspunkt unserer Unterhaltung gewesen war. Um sie bloß nicht wieder darauf zu bringen, sagte ich versöhnlich: »Wir unterhalten uns nachher weiter, ja?«
»Muss ma kucken, ob ich nachher Zeit für zum Unterhalten habe«, sagte Frau Pupke, »ich hab wiaklich noch viel, viel Aabeit!«
Ich entschuldigte mich, sie so lange aufgehalten zu haben, und versprach ihr, dass das nicht mehr vorkäme. Frau Pupke ging mit Paulchen weg. Ihre »Wölls« und »Sachmas« verebbten allmählich im Treppenhaus.
Ich holte tief Luft, schlug mir auf dem Klavier die Dezime an und sang in dreifachem Fortissimo: »Die Ode verschlingt sie.« Dann nahm ich das Wollknäuel, guckte es lange an und warf es im Zeitlupentempo hinter das Klavier.
Wie Singen doch seelisch entschlacken kann.
Das Konzert war ein voller Lacherfolg. Simon und ich waren die Solisten, und hinter uns stand ein riesiger Männerchor, alle im grünen Wams und mit schwarzen Fliegen. Bä-renstark. Es handelte sich um den Werks-Chor einer Kölner Metzgerinnung, und sehr viel altes deutsches Liedgut entströmte den sangesfrohen Schlachterkehlen. Der Programmgestalter hatte wohl gedacht, dass sich zwischen all den harmlosen Potpourris auch etwas Seriöses gut machen würde, zum Beispiel eine Ode an die Öde von Johannes Brahms.
Mein Auftritt kam also direkt nach »Schwesterlein, wann geh’n wir nach Haus«.
Die Alt-Rhapsodie.
Nach einem langen, schröcklichen Orchestervorspiel – es spielte die C-Besetzung des Pensionärorchesters oben genannter Innung – begann ich mein klagendes Geröhr: »Aber abseits, wer ist’s … Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad … hinter ihm … schlagen die Sträucher zusammen.«
Simon, der neben mir auf der Bühne saß und wieder ohne Hemmungen sein Hühnergebräu schlürfte, murmelte ziemlich laut: »Was der Kerl da wohl treibt! «
Ich fing völlig unprofessionell zu kichern an. Die Metzgersgattinnen im Publikum reckten die Hälse. Krampfhaft versuchte ich, der würdevollen Weihestunde den ihr zustehenden Ernst zu vermitteln.
Bei »Das Gras steht wieder auf« konnte ich mich halbwegs wieder beherrschen, obwohl Simon irgendeine lästerliche Bemerkung über die Männlichkeit machte, aber bei der berühmten Stelle mit der Öde musste ich an Frau Pupke denken und wie heiter doch das Leben ist, wollnich? und ich sah Paulchen auf ihren Pullover seibern und sie selbst mit sorgenzerfurchtem Gesicht mit zwei völlig gleichen Wollknäueln vor mir stehen und über den Farbkontrast grübeln. Da begann ich erneut, hilflos zu kichern. Wie lächerlich doch alles war, wie belanglos und wie nichtig! Was wusste denn diese Metzgermeister von der Schwierigkeit einer Duodezime? Genauso viel oder wenig wie ich von dem Zerhacken eines Nackenkoteletts! Und was wusste
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