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Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)

Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)

Titel: Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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unter deiner Schminke sind, dachte ich, während Theresa gestenreich einen ihrer letzten Stürze in den Orchestergraben schilderte. Wenn die Sonne auf dein Gesicht scheint, sieht man die Falten noch viel deutlicher. Hat dir schon mal jemand gesagt, dass dieser dunkelblaue Lidschatten fürchterlich ordinär aussieht? Übrigens hast du Lippenstift auf den Zähnen.
    Außerdem hast du viel zu viel süßliches Parfum über dich gegossen, meine liebe, hochverehrte Jammersängerin Theresa! Da soll dein Duettpartner wohl mies bei draufkommen! Und noch was, teuerbezahlte Prallgunde: WENN du dir schon soviel braune Paste ins Gesicht schmierst, dann musst du das Doppelkinn auch beschmieren, hat dir das noch nie ein Maskenbildner gesagt?
    Gerade als ich überlegte, ob ich wohl in fünfzehn oder zwanzig Jahren auch so aussehen, riechen und klingen würde wie die Fregatte Theresa und ob ich dann auch so ein armes, einsames, schrilles Monster sein würde, machte mein Herz einen ganz dumpfen Aussetzer. Auf der anderen Straßenseite, mitten im bunten, sonnenbeschienenen Gewühl, standen Papa, Paulchen und Pupke.
    Ich starrte hinüber und schluckte ein paar Mal.
    Theresa, gerade in einen interessanten Abschnitt ihrer Künstlerlaufbahn verstrickt, zupfte mich am Ärmel, damit ich den Höhepunkt und die Pointe ihrer Schilderung nicht verpassen möge.
    Klaus hier. Paulchen hier. Mein geliebtes, kleines, unschuldig in die Menschenmenge staunendes Paulchen!! Mit einem hastigen Seitenblick auf Simon überlegte ich, was ich tun sollte.
    Hinrennen natürlich, dein Kind in die Arme nehmen, abküssen und Simon zeigen, dass du eine glückliche junge Mutter bist.
    Simon aber stund und wärmte sich.
    War er jetzt in der Stimmung, das uneheliche Kind seiner momentanen, ausgesprochen netten Beziehungskiste kennenlernen zu wollen?
    Wegdrehen, verstecken, in der Menge verschwinden, sagte die feige und berechnende Hälfte in mir.
    Der Schweinehund, der auch mitfeiern wollte, swingte mit einer Pappnase aus seiner Hütte und riet mir, mich doch jetzt ganz laut lachend Arm in Arm mit der Fregatte Theresa unter die Herrenriege zu mischen, auf dass Klaus endlich sehe, in welchen Künstlerkreisen ich verkehre! Dann könne er auch raten, welcher der schalbehangenen, bollerig röhrenden Herren der Auserwählte war, hurra! Dreimal Kölle alaaf!
    Ich lugte herzklopfend über die Straße. Der Umzug hatte begonnen. Meine Familie wurde ab und zu von größeren Wagen verdeckt, aber tauchte immer wieder auf. Die Nachmittagssonne beschien die drei. Mein kleiner Paul sah zum Anbeißen aus in seinem bunten Clownskostüm. Klaus hatte ihn auf die Schultern gesetzt, damit er besser in die große, bunte Welt gucken konnte. Frau Pupke, exakt halb so groß wie der lange Turm neben ihr, redete pausenlos gegen den Lärm auf Klaus ein. Ich bemerkte, dass Klaus zwar artig den Kopf senkte, mit seinen Augen aber ganz woanders war. Der beherrschte die Technik, Frau Pupke auf höfliche Weise zu überhören. Mir gelang das nie. Entweder ich überhörte sie unhöflich, was sie mir übelnahm und mit sechsfach gesteigertem »Woll?« auszutreiben wusste, oder ich überhörte sie eben nicht und ärgerte mir Löcher in den Bauch. Klaus war eben Profi im freundlichen Weghören. Klar, als Arzt!
    Theresa hatte allerdings im Moment auch keinen Zuhörer mehr. Ich starrte wie ein Honigkuchenpferd auf die andere Straßenseite, in mildes Entzücken versunken. Mein Paulchen! Wie groß es doch schon war und wie wach! Da! Jetzt kam die decke Tromm zu nah an ihm vorbei; er verzog weinerlich das Gesichtchen. Mensch, Pupke!! Hör auf zu quatschen und tröste das Paulchen! Wozu haben wir dich angestellt! Klaus!! Merkst du denn nicht, dass unser Sohn erschreckt zusammengezuckt ist? HALLOO! Wo bist du denn mit deinen Gedanken? Wahrscheinlich wieder bei irgendeinem Wirtschaftsmagazin! Nein, du kannst deine Pappnase NICHT von der Steuer absetzen! Paulchen weint!!
    Ich konnte kaum noch an mich halten.
    Die nächste Musikgruppe nahte, diesmal mit klirrenden Triangeln und anderen blechernen Trommelfellzerfetzern. Die Menge johlte und schrie. Man verstand sein eigenes Wort nicht mehr. Außer Theresa, die sich einer durchdringenden Vordersitz-Nasenklang-Technik befleißigte, und Frau Pupke, die noch nicht mal die Posaunen des Jüngsten Gerichts vorübergehend zum Schweigen gebracht hätten.
    Mein Paulchen saß zusammengesunken auf Rabenvaters Schultern und heulte. Ich konnte seine Rotznase bis hierhin sehen.

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