Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
Suppenextraktdose von Maggi, sein ganzes Pfeifenzubehör, viele hundert Tabakkrümel, das Gummibärchenglas und eine einzige, ungespülte, henkellose Tasse. Meinen französischen Kaffeepott hatte er noch nicht ausgepackt. Er stand mit vielen anderen eingepackten Geschenken im Flur.
»Wozu dienet dieser Unrat?«, fragte ich verständnislos.
»Alles hier hat seinen Erinnerungswert, jedes einzelne Ding ist mir lieb und teuer«, sagte Simon mit ernstem Blick.
»Entschuldigung. Ich wollte dir nicht zu nahe treten!«
»Oh, wie schade!«, sagte Simon sonor. »Das hätte ich aber ausgesprochen nett gefunden!«
Dann gingen wir dazu über, uns zu nahe zu treten. Leider war auch eine solche Handlung bei Simon nicht besonders spontan. Zur Entspannung verschwand er zuerst einmal für eine gute halbe Stunde im Badezimmer. Damit es mir nicht zu langweilig würde, ließ er die Tür offen.
»Mach es dir bequem, Mäuschen!«, rief Simon von der Klobrille herab.
Verlegen setzte ich mich auf die Matratze.
»Du, Simon?«
»Ja, Spätzchen?«
»Würdest du eigentlich gerne Kinder haben?« Herzklopfend wartete ich auf eine Antwort.
»Da hätte ich im Prinzip eigentlich nichts gegen«, kam es nach einer Weile von der Brille.
Na großartig! Vielleicht konnte ich es ihm jetzt sagen! Er auf dem Klo und ich auf der Matratze! Die richtige Voraussetzung für ein Geständnis dieses Schweregrades!
»Warum fragst du, Mäuschen? Möchtest du eins von mir?«
»Nein, nein!«
Der Bettbezug war braungraumeliert, aus pflegeleichtem Frotteestoff. Ich zupfte ein bisschen daran herum.
»Aber Kinder magst du grundsätzlich, ja?«
»Meistens finde ich sie ausgesprochen nett«, sagte Simon gepresst.
»Würdest du gerne bald eines haben?«
Herzklopfen bis zum Halse.
Pause.
Simon musste sich konzentrieren.
Auf meine Frage vermutlich weniger als auf das, was er gerade tat.
»Simon?«
»Ja?«
»Möchtest du eventuell schon bald ein Kind?«
Ich konnte die Spannung unserer Konversation nicht mehr ertragen.
»Nein«, sagte Simon und raschelte mit Papier.
»Warum nicht?«, fragte ich und fand mich entsetzlich penetrant.
»Weil ich mich noch nicht reif für ein Kind fühle«, sagte Simon und erhob sich.
»Nicht … reif?«
»Genau«, sagte Simon. »Nicht reif. Also sei doch bitte so liebenswürdig und vergiss dies hier nicht.«
Damit erschien er im Matratzenzimmer. Was er mir unter die Nase hielt, war eine Packung Antibabypillen.
»Tut die Mama jetzt singen?«
Frau Pupke stand mit dem drallen Paulchen im Arm zwei Meter neben dem Klavier. Ich war gerade bei einer schwierigen Stelle aus der Alt-Rhapsodie und versuchte mich an Dezim-Sprüngen, was keine einfache Sache ist.
»Lalala! macht die Mama! Woll? Die Mama tut lala machen, Paulchen! Woll?!«
Ich hörte auf, lala zu machen, und wartete, dass Frau Pupke mit Paulchen spazieren gehen würde, wie sie das wohl gerade im Begriff war zu tun. Draußen schien die Sonne. Alle Deckchen und Untersetzer strahlten im Meister-Proper-Schein des Frühjahrsputzes, den Frau Pupke seit Wochen zelebrierte.
Paulchen seiberte vergnügt auf Frau Pupkes selbstgehäkelten Pullover. Er war zum Fressen süß. Ich hätte ihn schrecklich gern selbst in den Kinderwagen gepackt, um spazieren zu gehen, aber ich musste üben. Wichtige Konzerte standen bevor.
»Tust du sabbern? Auf Tante Pupkes schönen Pullofer? Was? Du bist ein kleines Ferkel, woll? Sachma! Ein Ferkel bist du, woll? Wollnich? Tust du einfach auf Tante Pupkes Pullofer sabbern! Was? Woll!« jubelte Frau Pupke und entfernte sich, um ein Tuch zu holen.
Ich stellte mich wieder in Positur, atmete vorschriftsmäßig ins Zwerchfell und dramatisierte vor mich hin: »Die Ode verschlingt ihn …«
Das Gejuchze und Gejubel des Kontrastprogramms verebbte indes nicht. Im Gegenteil: In meinen todernsten Gesang mischte sich erneut das Flötengetön von Frau Pupke, die den unschuldigen Paul mit neuen Varianten zum Thema »Tust du sabbern« überschüttete.
Mein Gott, dachte ich, kann sie denn nicht mit ihm ins Kinderzimmer gehen und dort weitersabbern?
Frau Pupke kam jedoch wieder, stellte sich neben das Klavier und wartete, bis ich einmal Luft holen musste. »Kucken Se mal, Frau Dokta, ich bin hier was am Stricken«, sagte sie und hielt mir einen angefangenen Kinderpullover »in blö« unter die Nase.
»Schön«, sagte ich, »ist das für Paul?«
»Ich weiß nich, wat meinen Sie? Was? Sollich den für Paul machen?« Und ohne von mir eine Antwort
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