Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
Stillet die Wipfel, es flennet mein Kind!
Keinerlei Berechnung oder Überlegung konnte mich mehr zurückhalten. Ich rannte einfach los, mitten durch den Zug, schlängelte mich zwischen Pferdehintern und bunten Kutschen hindurch, drängelte mich an entsetzlich lauten Pikkoloflöten vorbei und sprang todesmutig vor den Trichter einer Bassposaune, um endlich das rettende andere Ufer zu erreichen.
»Hier können Se ever nit stonbliwe!« verteidigten sofort einige freundliche Kölner ihre zwei Quadratmeter, die sie seit vier Stunden anwärmten.
Wütend drängelte ich mich an ihnen vorbei. Da standen sie. Klaus mit dem heulenden Paulchen und die quatschende Pupke.
Ich rempelte Klaus einfach an und riss ihm mein Kind von den Schultern.
»Merkst du nicht, dass er heult, Mann?!«
Klaus war regelrecht aus tiefster Trance erwacht.
»Was? Wer heult? Doch, hab’ ich gemerkt. Ich wollte ihn gerade trösten.«
»Da sieht man mal, wohin das Gequatsche von Frau Pupke führt«, giftete ich ihn wütend an. »Du stellst dich einfach taub. Merkst du nicht, dass der Lärm das Paulchen erschreckt?« Zitternd vor Wut fuhrwerkte ich mit einem Tempotuch in meines Kindes Gesicht herum. Die ganzen roten Herzchen verwischten.
»Was für ein Lärm?«, fragte Klaus und streckte pflichtschuldigst die Hände nach Paul aus. »Gib ihn mir, du hast doch heute deinen freien Tag!«
»Ich pfeife auf meinen freien Tag, wenn du so schlampig mit meinem Sohn umgehst!«, schrie ich gegen ein neues Musikkorps an. Um uns herum wurde in höchster Glückseligkeit mitgesungen und geschunkelt: »Mer losse der DOM in Kölle! «
»Nun lass aber mal die Kirche im Dorf!«, sagte Klaus. »Ich hab’ ihn nur auf die Schultern gesetzt, damit er was sehen kann.«
»Aber der Lärm, Mensch! Das kann so eine kleine Kinderseele noch gar nicht verkraften! Der Karneval ist überhaupt noch nichts für ihn!«, brüllte ich und wickelte schützend die Jacke um mein Kind.
Frau Pupke hatte tatsächlich aufgehört zu reden und versuchte, in dem Krach den Inhalt unserer Auseinandersetzung mitzukriegen.
Ich drehte mich einfach um und verließ im Laufschritt mit Paulchen die Szene.
»Nach Hause geht die Mama mit dir, mein Süßer, und da machen wir deine Spieluhr an, ganz leise, damit sich deine Öhrchen wieder erholen«, sagte ich zu dem Inhalt meiner Jacke. »Die haben ja alle keine Ahnung, wie man mit Kleinkindern umgeht!«
Paulchen guckte mich gläubig aus der Jackenöffnung an. Das zahnlose Mündchen verzog sich zu einem Grinsen. Das war ein so erhebender, wunderschöner Moment! Die Löwenmutter hatte ihr Junges gerettet, vor Not, Gefahr und Ungemach, und nun trug sie es im Maul als Beute davon, in die Höhle zurück, wo es warm und trocken war und wo keine Trommel an das Trommelfell des Jungtieres drang. Diese Begebenheit werde ich dir erzählen, wenn du groß bist, sagte ich zu ihm, während ich unter seinem Gewicht zu schwitzen begann.
Da hörte ich eilige Schritte hinter mir. Typisch Klaus. Musste er mir wieder mal nachlaufen. Wahrscheinlich rannte die Pupke auf ihren drallen Beinchen auch noch hinterher! Paulchen und seine Mutter wollen allein sein, habt ihr das nicht gemerkt, ihr lästigen Fremdlinge?
»Pauline, bleib sofort stehen!«
Ich denke nicht daran, mein Lieber. Wenn du nicht in der Lage bist, einen kindgerechten Freizeitausgleich für deinen Sohn zu inszenieren, dann musst du eben tatenlos zusehen, wie man dir die Vormundschaft entzieht, Rabenvater!
»Pauline! Wo willst du mit dem Kind hin! Bleib stehen!«
Wo ich mit dem Kind hin will?! Nach Hause, wo es seine Ruhe hat, Unfähiger!
»Bleib stehen, verdammt noch mal!«
Das war gar nicht Klaus! Der sagte nie »verdammt noch mal«! Ich guckte mich im Laufen um. Es war wirklich nicht Klaus, der da durch die Menge hinter mir herrannte.
Es war Simon.
»Bist du wahnsinnig?«, giftete er mich wütend an. Beim Laufen hatte er seinen Schal verloren. Sein kostbarer Kehlkopf lag frei. »Haut plötzlich ab, die Diva, nur weil der böse, unaufmerksame Simon mal ein paar Takte mit seinen Kollegen spricht. Mensch, warum mache ich das wohl alles? Meinst du, ich hätte Lust auf die Säcke?«, schnauzte er mich an. Diese Tonart war mir noch ganz fremd an ihm. »Verdammt« und »Säcke«! Das waren aber keine ausgesprochen netten Wörter!
Eigensinnig drückte ich mein Löwenjunges fester an mich. Es war unter meiner Jacke überhaupt nicht mehr zu sehen.
»Da versuche ich, dich in meine Kreise einzuführen, und
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