Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
fünfundzwanzig Jahren. Sein Großneffe macht bei uns Statisterie.«
Der nächste Laden, gute zwei Kilometer entfernt vom Ersten, war ein Reformhaus. Es gab dort jene hautfarbenen, wollenen langen Unterhosen, die ich an Simon schon oft hatte schauen dürfen, und schrumpelige ungespritzte Apfel neben mühsam selbstgelegten Bio-Eiern, an denen als Beweis für ihre Naturbelassenheit und den intakten Seelenzustand ihrer Legehennen noch die Hühnerkacke klebte. Außerdem gab es dort Sojabällchen und Tofuburger im Kühlregal und sehr ballaststoffreiches verdauungsförderndes Brot nebst völlig fleischlosem graugrünblauem Brotaufstrich in Recycling-Dosen.
Simon erstand nach sehr langem, umständlichen Prüfen der Ware aber nur einen Riegel Sanddorn-Maracuja-Schnitten für zwei Mark vierzig, die er bar bezahlen musste. Der bärtige Müsli-Freak, der die selbstgelegten Eier bewachte, sagte auch nicht Herr Kammersänger zu ihm und machte auch sonst kein Bohei.
Wir gingen weiter.
An einem ganz bestimmten Kiosk gab es dann die mir so vertrauten Gummibärchen, das Stück zwei Pfennig, aus dem Glas. Hier erwarb Simon auch seinen Pfeifentabak. Mit der dicken frierenden Frau, die einen Tropfen an der Nase hängen hatte, hielt er ein ausführliches sonores Schwätzchen. Wie es ihrem Gatten gehe und ob die Tochter immer noch interessiert daran sei, in der Oper als Klofrau zu debütieren. Es dämmerte bereits. Mir taten die Beine weh.
»Sind wir bald fertig?«, nörgelte ich saschamäßig. »Ich hab’ Dooorst!«
»Moment noch, Kleines«, sagte Simon und verstaute die Gummibärchen sorgsam in seinem Rucksack. »Das Schwerste steht uns noch bevor!«
»Und das wäre?«, fragte ich bang. Musste ich jetzt einen Sack Kartoffeln schleppen?
»Die Hühnerbrühe«, sagte Simon. »Die gibt es nämlich leider nur im Supermarkt.«
»Der Tante-Emma-Laden hat sie nicht?«
»Doch, hat er. Aber die schmeckt nach Fisch.«
Wir wanderten also noch zum Supermarkt.
Es war zwei Minuten vor Feierabend, als wir eintraten. Ein wildgewordener Arbeitnehmer in Grau schob bereits in höchster Wut alle Einkaufswagen auf dem Parkplatz zusammen und rammte mit der Karawane ahnungslose Kunden, die auf dem Heimweg waren.
Ich sprang in Panik zur Seite.
Simon betrat forsch den Supermarkt, ging schnurstracks von hinten auf ein Kassenfräulein zu, vor deren Fließband sich eine Schlange von etwa zwanzig Leuten gebildet hatte, und flüsterte ihr etwas in die abenteuerlichen Ohrgehänge.
Das Fräulein schaute ihn glasig an, ließ ihre Kunden stehen und ging die Hühnerbrühe im Glas holen.
Simon bezahlte sehr sorgfältig mit Münzgeld, faltete auch gewissenhaft den Kassenbon in seine Brieftasche und wünschte noch allseits einen schönen Abend.
Draußen stopfte er seine Beute in den Rucksack.
»Wieso geht die für dich Suppe holen?«, fragte ich beeindruckt.
»Weil ich die Musik im Supermarkt nicht ertrage«, sagte Simon.
»Und die MACHT das?«, fragte ich entgeistert.
»Natürlich macht die das«, sagte Simon. »Dafür kriegt sie immer eine Freikarte fürs Ballett. Sie und ihre kleine Freundin sind nämlich im Rock’n’Roll-Club. Komm, setz dich hin, Spätzchen, wir essen ein Sanddorn-Schnittchen.«
Wir ließen uns auf der Parkplatz-Mauer nieder. Meine Füße brannten, und ich hatte schrecklichen Hunger. Immerhin waren wir seit zwei Stunden unterwegs.
Simon kramte lange und umständlich in seinem Rucksack. Dann entnahm er ihm die Thermoskanne, schraubte sie auf und mischte sich mit Hilfe eines Pfadfinderbesteckes im Handumdrehen ein belebendes Heißgetränk.
Es schmeckte köstlich und trieb einem das Kondenswasser in die Nase. Frau Pupke hätte gejubelt. Dazu gab es Sanddornschnittchen, für jeden eins.
Lange, nachdem die Putzfrauen den Laden verlassen und das schmiedeeiserne Gitter hinter sich abgeschlossen hatten, verließen wir den Parkplatz.
Es war fünf Minuten nach halb acht.
»Jetzt muss ich aber gehen, Kleines«, sagte Simon und schraubte seine Thermoskanne zu. »Ich habe heute Abend Vorstellung.«
»Darf ich hinter der Bühne sitzen?«, bettelte ich und hüpfte wie ein Schulkind neben ihm her.
Erstens hatte ich keine Lust, alleine in der Kellerwohnung auf der Matratze zu hocken und zu grübeln, ob ich wohl das Klavier öffnen dürfte, und zweitens wollte ich mir Opernwind um die Nase wehen lassen. Wo ich doch selbst bald eine Opernsängerin sein würde! Es konnte sich nur noch um Jahre handeln!
»Da habe ich im Prinzip nix gegen«,
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