Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
Liederabendkleid mit den Spaghettiträgern. Außerdem klebte eine geschmolzene Salmiak-Pastille am Hinterteil. Kind, wo hast du dich da in Panik wieder reingesetzt.
Während ich noch so stand und sann, näherte sich Achnes geräuschvoll meinem Privatgemache.
»Paulchen, bist du da? Paulchen! Tante Pupke will dich aufs Töpfchen setzen, woll! Nicht dass du wieder in die Hosen machst, was, sachma!«
Ich schluckte. Wenn sie uns doch EINMAL in Ruhe ließe, nur EINMAL!! Warum hatten wir das tarifvertraglich nicht geregelt?!
»Wat machste da, Pauline?«
Aus Paritätsgründen waren auch wir inzwischen per du. Sie als die Ältere hatte es mir angeboten – »Pauline, ich sach getz ma einfach du, woll!« –, und ich als die Jüngere hatte mich nicht getraut zu sagen, nein danke. Kind, sei immer höflich und bescheiden. Besonders, wenn Erwachsene mit dir reden. Außerdem hatte Klaus zu ihr gesagt, sie solle ein bisschen nett zu mir sein, ich stecke gerade in einer beruflichen und privaten Krise. Zu mir hatte er gesagt, ich solle ein bisschen nett zu ihr sein, sie sei so ein herzensguter Mensch.
»Happich mir doch gedacht, dass du getz überleechs, watte anziehen sollz. Happich mir schon gedacht. Ich denk, wat zieht die Pauline wohl an, wenn sie mit’n Klaus nach München fährt, denk ich. Ich denk, Achnes, denk ich, geh mal in dat Schlafzimmer und tu se beraten. Sachma.«
Ich guckte sie ratlos an. »Was SOLL ich denn anziehen?«
»Sachma.« Achnes begann in meinem Schrank zu wühlen. »Dat kleine Schwatte, sarich imma. Dat passt für jede Gelegenheit, ob de zur Beerdigung geeß oder zum Schützenfest oder zum Poltaahmt. Passt imma. Sarich. Woll, Paulchen? Musst du mal Pipi? Was? Sachma! «
Paulchen knabberte an seinem Beißring und folgte der Beratung aus fachlich versiertem Munde mit großen Augen.
Ich hatte kein kleines Schwattes. Das liegt daran, dass ich so selten auf Polterabende und Beerdigungen und Schützenfeste gehe. Ich habe nur jede Menge große Schwatte, von wegen Requiem und so.
Frau Pupke zeigte sich wie immer von der praktischen und hausfraulichen Seite: »Ich tu dir ein Abendkleid küazen. Kuckma hier, dat lilane. Dat sieht todschick aus, wennde dat knielang trächst. Bei deine Beine. Sachma. Woll, Paulchen. Die Mama, die hat Beine, woll? Musst du mal Pipi? Knielang, sarich, dat is getz schick. Bei deine Beine. Sachma.«
»Ja«, sagte ich.
»Sachma«, sagte Frau Pupke und holte ihren Nähkasten hervor.
»Ja«, sagte ich wieder. Was sollte ich denn sonst antworten auf die Aussage, ich hätte Beine. Die meisten Menschen haben Beine, in der Regel zwei Stück. Den Arztgattinnen in München wird es da nicht anders gehen.
»Beine hat die Mama«, sagte Frau Pupke und kniete sich vor mich hin, um den Abstand meiner Kniescheiben zum Fußboden abzuschätzen, »woll Paulchen? Sachma. Musst du mal Pipi, was? Sachma.«
Ich stand da wie eine Salzsäule und blickte ratlos an mir herab.
»Tu ma die ollen Hosen ausziehen«, sagte Frau Pupke von unten. »Diese ollen, speckigen Nietenhosen. Wenn der Paul ma groß is, dann zieht der so was nich an. Vorher schmeiß ich die Nietenhosen in den Ofen.«
»Nietenhosen?«, fragte ich ratlos. »In welchen Ofen?«
»Na, diese Dschiens oda wie ihr dat nennt«, sagte Frau Pupke und steckte sich einige Nadeln in den Mund.
Ich überlegte, während ich mich umzog, wie ich es verhindern könnte, dass Frau Pupke später mein armes Paulchen zum Gespött der Schule machen würde.
Wenn es nach ihr ginge, würde Paulchen im weißen Hemd mit Fliege und dunkelblauen Hosen mit Bügelfalten und Hosenträgern und in Lackschuhen zur Schule gehen. Und alle zwei Minuten Pipi machen, woll.
In dem Abendkleid sah ich wirklich allerliebst aus. Richtig entzückend. Diese Puffärmelchen und der liebreizende Halsausschnitt! Da musste unbedingt eine zweireihige Perlenkette von Eduscho rein, in Blassrosa. Ich fand es an der Zeit, dieses Kleid zu zerstückeln. So erlaubte ich Achnes, mit der großen, scharfen Schere eine Handbreit überm Knie ans Werk zu gehen. Sie tat es unter unendlich vielen Wölls und Sachmas, was nicht so einfach war, weil sie so viele Nadeln im Mund hatte.
»Sachma, wie sollich sagen«, begann sie ein sehr persönliches Interview, »du biss doch so ein hübsches Meedchen. Wie kannze denn imma in diesen Nietenhosen und schlabberigen Pullovern rumlaufen? Du muss dich doch ein bisschen hübsch machen für deinen Klaus. Sachma. Findet das der Klaus denn schick? Was? Sachma?
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