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Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)

Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)

Titel: Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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sagte Simon und nahm mich an die Hand.
    Das Schulkind schmiss die Beinchen, um Schritt halten zu können. O Freude über Freude! Endlich durfte ich die Bühnenwelt von nahem schauen!
    Simon redete unterwegs nicht mehr soviel. Nur ab und zu rief er »JAA!« und »SOOO!« in den abgasverseuchten, kaltgrauen Feierabendverkehr. Das war seine Art, sich einzusingen. Mehr brauchte er für die Erwärmung seiner Stimmbänder nicht zu tun. Deswegen blieb bei ihm auch das Klavier geschlossen. Wie unkompliziert im Vergleich zu meinen stundenlangen quälenden Tonleitern!
    Am Bühneneingang hieß er mich warten.
    »Setzet Euch hier!«, brummte der stets geistreiche Charmeur und verschwand in dem Gewirr von Gängen und Fluren, in denen hektisch einzelne verkleidete Gestalten herumhuschten.
    Ich hockte ehrfürchtig auf der Holzbank am zugigen Pförtnerhäuschen und ließ alle musengeküssten Gestalten, die das unsagbare Glück hatten, bereits freien Eintritt in dieses Opernhaus errungen zu haben, an mir vorbeiflanieren. Von draußen kamen die sterblichen Gestalten in Mantel und Hut, von drinnen die Unsterblichen, mit Puderperücke und güldenem Gewand.
    Ehrfurchtsvoll starrte ich sie an. Eines Tages würde auch ich in Kostüm und Maske hier vorbeischweben, um an der Pförtnerloge meine Fanpost abzuholen und kleinen verschüchterten Mäusen auf der hölzernen Wartebank keinerlei Beachtung zu schenken …
    Von hinten nahte eine nerzumschlungene schwarze Wolke. Fregatte Theresa! Ich erkannte sie am Duft nach faulenden Orchideen.
    Mit ihr wehte ein Schwall kalter Zugluft herein. Ohne mich zu beachten, warf sie ihre krokodillederne Tasche neben mich und rief dem Pförtner durch die Glaswand zu : »Wenn meine Garderobe heute wieder so überheizt ist, singe ich nicht! Ist dir das klar, Heinz?«
    Heinz senkte seine Bildzeitung und rief etwas Unverständliches in seiner kölschen Muttersprache zurück. Fregatte Theresa intonierte noch ein paar Todesdrohungen gegen die Pförtnerloge, riss dann ihr Krokodil an sich und rauschte Richtung Garderoben davon.
    Oh, wie beeindruckend! Welch ein Auftritt! Was für eine Persönlichkeit sie doch war!
    Und ich kannte sie! Privat! Ich hatte sie schon beim Kampf gegen den fadenziehenden Käseauflauf beobachtet! Heute Abend würde ich endlich ihre große, voluminöse Dramatik erleben dürfen. Wenn sie schon privat so eindrucksvoll auftrat, wie würde sie erst auf der Bühne sein?!
    Die große Uhr über der Eingangstür tickte.
    Es war zwei Minuten vor acht.
    Der Pförtner las. Neben der Zeitung lagen eine Butterstulle und ein gekochtes Ei.
    Is dat denn gut für so’n Pförtner? dachte ich hämisch. Da kricht der Pickel von!
    Oh, wie gut, dass ich dieser spießigen Bürgerlichkeit entronnen war! Hier gehörte ich hin, in diese aufregende Umgebung von Bühnenstaub, zugigen Fluren und hallenden Geräuschen! Hier, wo jeden Moment Simon auftauchen und mich mit hinter die Bühne nehmen würde!
    Durch den Lautsprecher ertönte der Gong.
    Es ging los!
    Simon! Warum er mich hier nicht abholte! Ich wollte doch die Ouvertüre hören! Na ja. Simon war nicht besonders flink veranlagt. Seine Maske brauchte sicher Zeit. Vielleicht saß er wieder auf der Brille und sang einen Tusch in D-Dur, zur Vorfreude und Entspannung.
    Der Pförtner las ungerührt. Nichts von der Dramatik des Augenblicks schien hinter seine Glaswand zu gelangen. Durch den Lautsprecher ertönte Beifall. Dann begann das Orchester mit dem Vorspiel. Wie aufregend! Wie prickelnd! Wie spannend! Ich rutschte nervös auf meiner Holzbank hin und her. Mir war, als müsste ich jeden Moment selbst zum Auftritt auf die Bühne. Wie üblich reagierten meine Innereien postwendend mit Panik. Unauffällig schaute ich mich nach einer Tür mit der Aufschrift »Damen« um.
    Ob ich mal ganz schnell die Holzbank verlassen konnte? Ich sagte dem Pförtner durch Glaswand und Zeitung, dass ich in zwei Minuten wieder hier sein würde, falls Herr Reich mich suchen würde.
    Der Pförtner reagierte nicht. Ich war ja auch nicht Theresa Horn. Ich war ein namenloses Mädchen auf der zugigen Wartebank.
    Nur kein Neid! Eines Jahres!
    Auf hölzern-harter Wartebank sitzt einsam die Neidlose. Aber warte nur, du pickliger Pförtnergeselle! Eines Jahres werde ich dich anfauchen, dass du meine Garderobe zu heizen hast, mein Lieber, unter Androhung von Schlimmstem werde ich dich dazu zwingen! Du wirst dich noch an mich erinnern!
    Als ich zwei Minuten später wieder auf dem Holzbänkchen Platz

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