Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
lassen, und wo gehobelt wird, fallen Späne. So.
Denk noch mal drüber nach, Pauline, beendete Tante Lilli unser Gespräch und knipste das Licht aus. Und damit ich nicht noch ungezogene Widerworte geben konnte, sagte sie freundlich, aber bestimmt: »Schlaf gut, Pauline. Wir haben dich alle lieb.«
Glaub’ ich nicht, heulte mein Schweinehund in sein Kopfkissen hinein. Keiner hat mich richtig lieb. Keiner. Höchstens Paulchen.
Dann fing ich ausgiebig an zu heulen. Morgen würde ich meinen Sohn befreien und mit ihm ins Frauenhaus ziehen.
Gerade als ich in den ersten barmherzigen Dämmerschlaf gefallen war, hörte ich Simon umständlich aufstehen und das Schneegestöber abstellen.
Sollte er in der nächsten Dreiviertelstunde zu mir aufs Mattenlager herabsteigen wollen?
Nicht mit mir, mein Lieber, nicht mit mir! Mich erst in der Oper vergessen und dann auf der Matratze Spaß haben wollen! Die Diva hat Migräne!
Ich kniepte unauffällig ein Auge auf und lugte unter meiner Wolldecke hervor. Was machte er da? Seine Verrichtungen waren zwar genauso umständlich wie sonst, aber eindeutig nicht identisch mit der Ins-Bett-Geh-Zeremonie, die er sonst um diese Nachtzeit zelebrierte. Nach etwas mehr als zwanzig Minuten erkannte ich den Sinn und Zweck seines Tuns: Er packte Koffer!
Wie von der Tarantel gestochen setzte ich mich senkrecht auf: »Simon, was tust du?«
»Ach, Liebes, habe ich dich gestört? Das tut mir leid. Ich dachte, du schläfst fest.«
»Packst du etwa?«
»Ja, Kleines, es sieht ganz so aus.« Simon trug einen Tauchsieder und ein Zimmerthermometer auf den Haufen der Utensilien, die er einzupacken gedachte.
Sprachlos starrte ich ihn an. Er zog aus! Eindeutig! Er löste seinen Hausstand auf! Es folgten einige schwere Bildbände und mehrere Garnituren Geschirr, vier Paar Stiefel, sämtliche hautfarbenen Öko-Slips aus dem Reformhaus und drei Dosen Suppenextrakt. Dann montierte Simon das Radio aus seiner Halterung, bastelte den Ventilator auseinander und verstaute die Reserve-Thermoskanne zwischen dem Hakle-Feucht-Toilettenpapier und den grobgestrickten Naturfasersocken.
Das alles dauerte seine Zeit, und so hatte ich Gelegenheit, seinen Auszug gedanklich zu verdauen. Ich war ihm zu eng auf die Bude gerückt! Er flüchtete vor mir! Diogenes suchte sich eine andere Tonne! Sicher hatte ihn doch gekränkt, dass ich einfach aus dem Theater abgehauen war! Dabei hatten wir einander keine Vorwürfe gemacht! Schließlich waren wir doch reife Menschen, besonders er.
Dann aber transportierte Simon seine Blockflöte auf den Kofferberg. Die Blockflöte im Gepäck war ein markantes Erkennungszeichen für ein Konzert. Simon war nämlich der Bedienung einer Stimmgabel nicht mächtig, eine seiner vielen netten kleinen Eigenheiten, und er suchte sich die Töne während der Proben und Konzerte von der Blockflöte.
Ich wusste schon, dass Simon immer ziemlich viel Gepäck mit sich herumschleppte, damit er vollkommen autark war und sich niemals unnötigerweise in ein Gasthaus setzen oder in einen Supermarkt gehen musste.
Aber dass er so viele Dinge zu einem Konzert mitnehmen musste, war mir neu.
»Ziehst du aus oder hast du zu singen?«, fragte ich schließlich.
»Letzteres, Schätzchen«, sagte Simon lässig und klaubte seine Pfeifen zusammen. »Wenn ich auszöge, würde ich mir ein halbes Jahr Urlaub nehmen, um den Umzug zu bewältigen. Nein, ich habe nur ein Konzert. Schlaf doch, Mäuschen.«
»Ist das weit von hier?«
»Im Süddeutschen.«
»Und wann?« Kind, sei doch nicht so neugierig!
»Och, so in den nächsten Tagen«, gab Simon detailliert Auskunft.
Aha. Deswegen kein Protest, als ich den Ärztekongress erwähnte.
Er hatte eine Andere. Ganz klar.
»Und du fährst jetzt schon los?«, löcherte ich ihn mit einer mir uneigenen Penetranz.
»Nein, übermorgen«, sagte Simon. »Aber das Packen braucht seine Zeit. Ich mache so was immer mit viel Bedacht. Nur keine hektische Hast.«
Kind, der Mann hat’n Knall. Wann begreifst du das endlich!
Ich dachte daran, wie ich mich auf Konzerte vorzubereiten pflegte, bevor ich Paul und den restlichen Familienzuwachs am Hals hatte: Ich pfefferte Noten, Schuhe, Kleid, Lutschpastillen, Stadtplan und Krimi in eine Plastiktüte, setzte mich in meine rollende Übezelle, den rostigen Herbert, und brauste ab. Zeitaufwand: fünf Minuten.
»Du kannst übrigens gerne in der Zeit hier wohnen, Mäuschen«, sagte Simon liebevoll, »und meine Blumen gießen.«
Ich guckte auf den
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