Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
ein Schneckensüppchen ist genau das, was mich jetzt aus der Krise reißt!«
Die anderen Herrschaften warteten.
Der Ober verdrehte die Augen gen Himmel. Er musste mich für eine besonders renitente Patientin halten.
»Also, worauf warten Sie noch?«
Der Kellner hatte anscheinend Angst vor mir. Ohne mich mit seiner Schneckensuppe zu beglücken, wanderte er die anderen Damen ab und spendierte jeder von ihnen einen bemessenen Schneckenschluck.
Dann kamen die Herren dran.
Mich überging er glatt, der Prolet!
»Klaus, sollen wir uns das bieten lassen?«, fragte ich empört. Jetzt hatte ich mich schon dazu durchgerungen, eine Dame zu sein, dann will ich auch wie eine behandelt werden!
»Nein, natürlich nicht«, sagte Klaus, der bereits mit dem Einverleiben der Suppe fertig war.
»HERR Ober! Meine Frau möchte Suppe!«
Gespannt lugten die anderen über den Rand ihres Silberbestecks.
Ohne eine Miene zu verziehen, kam der Ober mit seinem Bottich zurück, stellte sich vorschriftsmäßig links hinter mich und kippte mir eine Portion Suppe über die gestärkte Serviette, die immer noch kunstvoll gefaltet in meinem Teller lag. Sofort saugte sich die Serviette voll. Nur eine einsame Schnecke klebte noch oben drauf.
»Guten Appetit«, sagte der Kellner höflich und ging davon.
»Guten Appetit«, sagten auch die Anderen und führten sich die Suppe schräg zum Munde.
Keiner lachte.
Kind, aus dir wird nie eine Dame, sagte Tante Lilli und wendete sich weinend ab.
Da gedachte ich der Thermoskanne von Simon und der ungeahnten Vorteile, vollkommen autark zu sein, und beschloss, hier und jetzt noch keine endgültige Entscheidung zu treffen.
Eigentlich hätte nun mein Alltagsleben mit Pupke, Paul und Klaus seinen Lauf nehmen können. Ich kehrte jedenfalls mit bestem Willen in unsere kleine Wohn- und Zweckgemeinschaft zurück.
In München hatten wir ganz klar besprochen, Frau Pupke um etwas weniger Engagement zu ersuchen. Auch wollten wir sie in einem günstigen Moment darum bitten, eine regelmäßige Freizeit und ein angemessenes Gehalt in Anspruch zu nehmen. Wir wussten, dass es ein schwieriges Gespräch werden würde, und wir warteten einen geeigneten Zeitpunkt dafür ab.
Eines schönen Sommerabends war es dann soweit.
Bei selbstgebrautem Pupke-Saft und Kartoffelsalat mit Achnes-Burgern saßen wir auf dem Balkon und genossen die laue Stadtluft in der späten Dämmerung. Aus den umliegenden Wohnzimmerfenstern tönten die Stimmen bekannter Synchronsprecher einer amerikanischen Plastikserie. Ich schaufelte zufrieden meinen Roggen-Vielkorn-Verdauungs-Brei. Seit ich nicht mehr so viele Konzerte hatte, musste ich zu solchen Mitteln greifen.
Paulchen schlief nebenan bei geöffnetem Fenster. Es herrschte ein tiefer Friede, und die Stricknadeln von Frau Pupke klapperten im Takt zu ihrem schaurigschönen Moritatengesang. »Wo wir uns fihinden wohl unter Lihinden zur Abend-zait …«
»Sing doch mit, Pauline, biss doch ne Sängerin! Sachma!«
»Ich kann nicht«, sagte ich zwischen den Zähnen, »mit vollem Munde singt man nicht. Woll?«
»Klaus, dann sing du doch mit! Kennze doch, dat schöne alte Volkslied, woll? Kain Schöna Land in diesa Zait …«
Hastig biss Klaus in eine neue Frikadelle. »Geht nicht«, bedauerte er heuchlerisch, »Mund voll!«
»Biss ga nich mehr so viel wech, Pauline«, sagte Achnes. »Sachma. Biss gar nich mehr so viel wech! Wie kommt dat? Sachma. Was?«
Klaus und ich guckten uns an. Jetzt! Jetzt konnten wir es ihr sagen, dass wir beschlossen hatten, uns aneinander zu gewöhnen, Paulchen, Klaus und ich.
»Früher waahßte viel öfter wech, woll? Sachma. Woran liecht dat? Tun se dich nich mehr so häufig engagieren? Was? Sachma!«
»Doch, doch«, sagte Klaus und schluckte an der Frikadelle. »Im Sommer ist bloß Saure-Gurken-Zeit. Da sind nicht so viele Konzerte. Pauline möchte deshalb …«
»Sachma«, unterbrach ihn Frau Pupke. »Früher waaße viel öfter wech. Woll? Sarich dat richtig? Was? Klaus? Getz isse viel öfters zu Hause, woll? Sachma!«
»Pauline möchte …«
»Woll?« sagte Frau Pupke und hielt ein Wollknäuel gegen das Licht. »Sollich getz dise Wolle nehmen oder dise?«
Wir betrachteten eingehend die Wolle.
»Wat? Für ‘n Junge?«, wägte Achnes ab.
»Die Hellblaue ist doch sehr hübsch«, sagte Klaus.
»Finde ich auch«, sagte ich. »Die hellblaue. Jetzt, wo Sommer ist.«
»Mainze?« fragte Frau Pupke und starrte auf das Knäuel.
»Achnes«, sagte Klaus. »Wir
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