Frauen al dente. (German Edition)
schwieg. Für Marlens Geschmack eine Spur zu lang.
»Stimmt was nicht?« fragte sie.
Er räusperte sich, bevor er sprach: »Ich muß Ihnen leider mitteilen, daß Frau Kunert vor 10 Tagen beerdigt worden ist. Wie ich bereits sagte, hat sie testamentarisch verfügt…«
»Das kann nicht sein. Resi ist jünger als ich. Sie kann noch nicht tot sein.« Marlen spürte plötzlich einen schalen Geschmack im Mund. Als habe ihn jemand mit Chloroform ausgespült.
»… Verkehrsunfall … ein LKW ist ihr von hinten draufgefahren. Sie hatte nicht die geringste Chance«, drang es wie durch Watte an ihr Ohr. Sie war nicht in der Lage, sich zu konzentrieren.
»Entschuldigung, ich muß das erst mal verdauen. Geben Sie mir bitte Ihre Nummer, ich rufe gleich zurück.« Marlen kritzelte die Zahlen auf den Block und legte auf. Sie griff nach ihrem privaten Kalender und suchte hastig die Adressen durch. Zum Glück übertrug sie am Jahresende stets gewissenhaft alle Telefonnummern, schon allein aus beruflichen Gründen. Man konnte letztlich nie wissen, ob man nicht auf irgendeinen alten Kontakt noch einmal zurückgreifen mußte.
Da war Resis Nummer, allerdings noch vom Studentenwohnheim. Sie mußte dort längst ausgezogen sein, es war Irrsinn dort anzurufen. Als der Hörer abgenommen wurde, hielt Marlen unwillkürlich den Atem an. Doch die Stimme, die sich meldete, kannte sie nicht. Und die Frau kannte wiederum Resi nicht. Nie gehört. Marlen stammelte wirres Zeug und legte auf. Sie erhob sich und ging hinüber zur Fensterbank. Ohne zu wissen, was sie eigentlich tat, goß sie die wenigen Pflanzen, die auf derFensterbank standen, bis das Wasser unten wieder aus dem Topf floß. Als sie fertig war, fühlte sie sich besser.
Meine Güte, Resi und sie hatten sich völlig aus den Augen verloren. Kaum zu glauben, daß die Nachricht von ihrem Tod sie trotzdem so umhaute. Vermutlich eine dieser sentimentalen Anwandlungen, die einen überkommen konnten, wenn man an vergangene Zeiten dachte. Marlen schüttelte sich wie ein Hund, um den letzten Rest ihrer Benommenheit abzuschütteln. Entschlossen griff sie zum Telefonhörer.
»Marlen Sommer. Tut mir leid, Herr Rechtsanwalt. Aber ich brauchte etwas Zeit, um mit dieser Nachricht klarzukommen. Jetzt bin ich soweit. Was kann ich für Sie tun?« Sie schlug bewußt ihren cool-geschäftsmäßigen Redakteurinnenton an, einen besseren Schutzschild konnte es gar nicht geben.
Rechtsanwalt Bode schien dieser Ton zu gefallen, jedenfalls ging er prompt ebenso emotionslos auf ihn ein. »Es handelt sich um eine Erbschaftsangelegenheit. Ich vertrete die Interessen von Frau Kunert, die Sie, wie schon gesagt, in ihrem Testament bedacht hat. Ich würde gerne einige Einzelheiten persönlich mit Ihnen besprechen. Wann paßt es Ihnen am besten?«
»Soll ich in Ihr Büro kommen?« checkte Marlen gegen.
»In diesem besonderen Fall würde ich es vorziehen, die Angelegenheit bei Ihnen zu Hause zu besprechen«, bat er.
In Marlen erwachte das Mißtrauen. »Ist das nicht reichlich ungewöhnlich?« fragte sie.
Ein tiefer Seufzer erreichte sie. »Ja, ist es. Aber besondere Gründe rechtfertigen besondere Maßnahmen. Wenn Sie wissen, worum es sich handelt, werden Sie es verstehen. Paßt es Ihnen heute abend, halb acht, bei Ihnen zu Hause?«
»Und Sie können auch nicht wenigstens andeuten, worum es sich handelt? …« Marlen zeigte sich widerspenstig.
»Wenn Sie darauf bestehen, können wir uns auch in meiner Kanzlei treffen«, entgegnete der Rechtsanwalt hörbar ungeduldig.
»Nein, nein, ist schon gut. Heute abend halb acht, bei mir zu Hause. Warten Sie, ich gebe Ihnen meine Anschrift …«
»Nicht nötig. Ich habe heute morgen zuerst in ihrer Wohnung angerufen. Ihre Putzfrau gab mir Ihre Redaktionsanschrift.«
Nanu? Herr Rechtsanwalt wußte anscheinend alles über sie, sie aber kaum etwas über ihn und sein geheimnisvolles Anliegen. Ziemlich unfair, doch im Augenblick nicht zu ändern. Sie würde sich bis heute Abend gedulden müssen.
Kapitel 4
Endlich allein.
Erschöpft ließ Hella sich in den schwarzen Chefsessel fallen. Dieser Vormittag glich einem einzigen Hindernislauf. Welcher Idiot hatte jemals behauptet, Morgenstund habe Gold im Mund? Ihr jedenfalls gelang es nur mit äußerster Disziplin, sich täglich aufs Neue in aller Frühe an den Schreibtisch zu zwingen. Wenn es nach ihrer inneren Uhr ging, würde sie jetzt noch in den Federn liegen, die Bettdecke über dem Kopf. Wahrscheinlich Erbanlage ihrer
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