Frauen al dente. (German Edition)
verstorbenen Mutter, der hochbegabten und sehr erfolgreichen Operndiva Katharina Merten. Sie war so erfolgreich gewesen, daß für ihre Tochter Hella kaum Zeit übrig blieb. Es gab aus den ersten Jahren ihrer Kindheit nur wenige gemeinsame Erlebnisse, an die Hella sich erinnern konnte. Dafür gelang es ihr mühelos, die Litanei der Namen ihrer damaligen Kindermädchen herunterzubeten. So ein Gefühl wie Beständigkeit lernte Hella eigentlich erst während ihrer Internatsjahre in der Schweiz kennen. Endlich mußte sie ihre eigenen Bedürfnisse nach Zuneigung, Freundschaft und Spaß nicht mehr mit den Terminen ihrer Mutter koordinieren. Im Vergleich zu der künstlerisch-hektischen Betriebsamkeit daheim erschien ihr die selbstverständliche Internatsdisziplin wie die reinste Erholung. Endlich standen einmal ihre eigenen Wünsche und Interessen im Vordergrund. Und sie durfte sich getrost darauf verlassen, daß ihr für ihre Hobbies auch die nötige Zeit blieb. Und nicht etwa die Ruderpartie im letzten Moment abgesagt wurde, weil der aufflauende Wind den Stimmbändern ihrer Mutter schaden könnte. Oder sie ihren Geburtstag nicht allein mit dem Kindermädchen feiern mußte, weil ihreMutter überraschend für eine Kollegin an der Mailänder Scala einspringen durfte. Hella hatte sich nie glücklicher gefühlt, als damals während ihrer Schweizer Zeit. Im nachhinein stellten diese Jahre einen einzigen, harmonischen, glitzernden Fluß dar. Nur bisweilen unsanft von den Blitzbesuchen ihrer Mutter unterbrochen. Selten angekündigt und nie abgesprochen. Katharina Merten pflegte das Leben ihrer Tochter wie ein Tornado durcheinanderzuwirbeln. Hella brauchte nach jedem Besuch Tage, um wieder die ausgeglichene Gefühlslage zu erreichen, die ihr Sicherheit verlieh.
Sicherheit – Hella hatte dieses Gefühl mehr als andere Kinder ihres Alters schätzen gelernt. War sie letztlich aus diesem Grunde am Schreibtisch einer Bank gelandet? Vielleicht hätte sie auch aus ihrem Zeichentalent Kapital schlagen können. Doch allein bei dem Gedanken daran, rebellierte alles in ihr. Sie war eindeutig milieugeschädigt.
Heute morgen fühlte sie sich tatsächlich wie zerschlagen. Irgendwie müde und kaputt. Sie kramte in ihrem Gedächtnis nach irgendwelchen Sünden des gestrigen Abends, doch da gab es nichts zu entdecken. Bis kurz vor Mitternacht hatte sie sich stocknüchtern bei Mineralwasser durch diese unselig-langweilige Besprechung gequält. Während die Herren Kollegen bei Wein und Cognac ins Schwadronieren gerieten. Wenn es allein nach ihr gegangen wäre, hätte man die komplette Tagesordnung in maximal anderthalb Stunden abarbeiten können. Doch die Männer pflegten derartige Abendtermine bis ins Unendliche auszudehnen. Als ob sie kein Zuhause hätten. Oder vielleicht gerade deshalb?
Wie dem auch sei, am liebsten hätte sie vollkommen undamenhaft den Kopf auf den Tisch gelegt und ihren Nachtschlaf um ein kurzes Nickerchen verlängert. Doch was, wenn unverhofft einer ihrer Kollegen ins Zimmer platzte? Dann war der gute Ruf hin. Die Kollegen warteten doch nur darauf, der einzigen Frau in der Managementetage etwas am Zeug flicken zu können. Auch wenn sie selbst alle naselang ihren Tennisarm gesundpflegen mußten, den sie sicherlich nicht vom vielen Unterschreiben bekommen hatten. Doch ein Tennisarm gehörte beinahe schon zu den Statussymbolen. Monatsbeschwerden hingegen…
Hella zog die oberste Schublade ihres Schreibtisches auf und fischte die Schachtel mit den Sprudeltabletten heraus. Gereizt beobachtete sie, wie die Tablette sich langsam in einem Glas mit Wasser auflöste. Sie wußte genau, daß sie ihr nicht helfen würde. Allenfalls nahm sie ein wenig den Druck im Kopf. Gegen ihre Schmerzen in den Brüsten, die mittlerweile so empfindlich waren, daß jede noch so leichte Berührung zur Qual wurde, würde sie nichts ausrichten können. Ebensowenig gegen das ständige Völlegefühl und die Verdauungsprobleme. Ihre Phantasie gaukelte Hella das Bild einer auf Kürbisgröße anwachsenden Gebärmutter vor, die in den Tagen vor den Tagen alle übrigen Organe in ihrem Bauch buchstäblich platt drückte. Das Schlimmste aber war die ständige, unterschwellige Gereiztheit. Die geringste Kleinigkeit konnte sie auf die Palme bringen, und ein Morgen wie heute, mit all seinen Abweichungen vom Gewohnten, kam einer einzigen Katastrophe gleich.
Hella nahm sich wohl zum hundertsten Mal vor, wegen ihrer Beschwerden zum Arzt zu gehen. Aber irgendwie fand
Weitere Kostenlose Bücher