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Frauen, die Geschichte machten

Titel: Frauen, die Geschichte machten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Barth
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Armenrechtspflege,
     zeitigte die Begegnung mit dem realen Leben eine wegweisende Erkenntnis: »Es wurde mir schnell klar, dass Männer die Frauen
     als eine dienende Klasse in der Gesellschaft ansahen und die Frauen so lange in ihr bleiben würden, bis sie sich selber daraus
     befreiten.«
    |215| Jahrzehntelang hatte das Handeln der Frauenbewegung darin bestanden, Resolutionen zu verfassen und dann abzuwarten, was in
     den Händen der Männer daraus wurde. Die unermessliche Geduld der Frauen karikiert Emmeline Pankhurst in ihren Memoiren: »Jedes
     Jahr am Tag der Parlamentseröffnung schickte die Wahlrechtsvereinigung eine Abordnung von Frauen zum Unterhaus, um sich mit
     so genannten wohlwollenden Abgeordneten zu treffen und mit ihnen die Situation in der Frauenrechtsfrage zu erörtern. Dies
     war eine konventionelle Zeremonie, um nicht zu sagen eine Farce. Die Damen sagten ihr Sprüchlein auf, und die Herren Abgeordneten
     das ihre. Die Damen dankten den wohlwollenden Abgeordneten für ihre Sympathie, die Abgeordneten versicherten erneut, sie seien
     für das Frauenwahlrecht und würden dafür stimmen, wenn sie die Gelegenheit dazu hätten. Dann verabschiedete sich die Abordnung,
     ein wenig traurig, aber völlig ruhig, und die Abgeordneten nahmen ihre eigentliche Lebensaufgabe wieder auf, nämlich die Politik
     ihrer Parteien zu unterstützen.«
    Im Oktober 1903 gründete Emmeline Pankhurst in Manchester eine Organisation, die anders vorgehen wollte. Die Soziale und Politische
     Frauenunion (»Women’s Social and Political Union«, WSPU) machte Schluss mit der Bettelei, »Taten statt Worte« war ihr Motto.
     Sie verzichtete auf Bündnisse mit den etablierten Parteien und verfolgte nur ein einziges Ziel, das Wahlrecht. Frauen, die
     andere Ziele hatten, waren ausgeschlossen. Emmeline Pankhurst führte die Organisation autoritär, in geradezu militärischer
     Weise und gab das auch offen zu: Die WSPU sei »eine Armee im Kampf für das Wahlrecht«. Ihre strategischen Grundsätze hatte
     sie sich von den irischen Nationalisten abgeguckt, die damals im britischen Parlament nur Obstruktion betrieben. Für die Agitation
     auf der Straße stand die Heilsarmee Pate. Die Mittel waren einfach: ein Stuhl, um sich darauf zu stellen, eine Glocke, um
     auf sich aufmerksam zu machen, damit die Menschen stehen blieben und zuhörten, ein Stapel Broschüren zum Verteilen – mehr
     war nicht nötig. Um »damenhaftes Auftreten« und »gutes Benehmen« scherten sich die Frauen von der WSPU nicht, entscheidend
     war bei allem nur, ob es etwas einbrachte. Auf ihren Veranstaltungen bewiesen sie Witz und Kreativität: Manchmal ging es zu
     wie beim Karneval. Berufstätige Frauen erschienen dort in ihrer Arbeitskleidung, geschmückt mit Attributen ihres Standes wie
     früher die Handwerkerzünfte bei ihren Umzügen, bekannte Bühnenkünstlerinnen gaben Gratisvorstellungen, Designerinnen fertigten
     Banner und Transparente.
    Der entscheidende Durchbruch ereignete sich im Herbst 1905. Die Liberalen hielten eine Versammlung in Manchester ab. Es war
     kurz vor den Wahlen und abzusehen, dass sie die regierenden Konservativen ablösen würden. Zwei junge Aktivistinnen von der
     WSPU, Annie Kenney und Emmeline Pankhursts älteste Tochter Christabel (geboren 1880) mischten sich unauffällig unter das Publikum
     in der Free Trade Hall. Als der Hauptredner, Sir Edward Grey (später |216| Außenminister) zu Ende gesprochen hatte, traten die beiden vor. Annie fragte: »Wird die liberale Partei, wenn sie an die Macht
     kommt, Schritte unternehmen, um den Frauen das Wahlrecht zu geben?« Christabel hielt eine kleine Fahne hoch mit der Aufschrift
     »Votes for Women«, Stimmen für Frauen. Die Parole war eine Notlösung, eigentlich hatten die Frauen ein Transparent mit einem
     längeren Text mitbringen wollen, der Annies Frage wiedergab. Aber sie hatten keine Plätze auf der Galerie erhalten und deswegen
     aus dem Transparent die Drei-Worte-Losung herausgeschnitten und an einen Fahnenstock geheftet.
    Ein Tumult brach aus. Die Mädchen wiederholten ihre Frage, erhielten jedoch keine Antwort. Saalordner zerrten sie hinaus,
     während sie unablässig weiter skandierten: »Wird die liberale Partei den Frauen das Wahlrecht geben? Beantwortet unsere Frage!«
     Auf der Straße improvisierten die Frauen von der WSPU eine Versammlung. Die Polizei nahm Christabel Pankhurst und Annie Kenney
     wegen Verkehrsbehinderung fest. Ein Schnellgericht verurteilte sie zu

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