Frauen, die Geschichte machten
einer Geldstrafe von fünf (Annie) bzw. zehn Schilling
(Christabel), ersatzweise drei Tage bzw. eine Woche Gefängnis. Die Aktivistinnen entschieden sich für das Gefängnis!
Der Skandal war da. Die mutigen Mädchen wurden als Heldinnen gefeiert, die WSPU erhielt daraufhin gewaltigen Zulauf. »Votes
for Women«, der eher zufällige Rest einer an die etablierte Politik gestellten Frage, wurde zum Slogan der militanten Frauenbewegung.
Nur die Regierungspartei konnte etwas für die Frauen tun. Dass die Liberalen durchaus Verständnis für das Anliegen der Frauen
zeigten, war ihnen nicht genug. Wenn die Regierungsmitglieder weiter das Wahlrecht beschnitten, dann war die ganze Partei
ihr Feind. Besonders im Visier hatten die Frauen dabei einen jungen Politiker namens Winston Churchill. Ihn, der später Großbritanniens
Premier im Zweiten Weltkrieg werden sollte, traf es ohne persönliche Absicht. Sein Wahlkreis lag in der Nähe der Hauptgeschäftsstelle
der WSPU in Manchester, da hatten es die Frauen nicht weit, wenn sie einen Liberalen ärgern wollten. »Ständige Belästigung
der Politiker«, das war die Parole, mit der sie an die Öffentlichkeit gingen. Das trug ihnen Rauswürfe aus den Veranstaltungen,
Beschimpfungen und sogar Prügel von aufgebrachten Politikern und immer brutalere Verfolgungen durch die Staatsmacht ein. Frauen
hatten keineswegs schonende Behandlung zu erwarten. Wenn ihre Demonstrationen aufgelöst wurden, wenn sie vor den Ministerien
weggejagt wurden, in die sie einzudringen versuchten, dann langte die Polizei kräftig hin, und die Gerichte verhängten saftige
Strafen. Und manchmal klatschten Passanten Beifall dazu. Nicht jede Frau und schon gar nicht jeder Mann zeigte Verständnis
dafür. Es gab sogar eine Anti-Suffragetten-Propaganda, die mit den schlimmsten Zerrbildern aufwartete. In den einschlägigen
Blättern wurden sie karikiert als Vogelscheuchen, Hexen, Hysterikerinnen, Mannweiber |217| und sexuell Frustrierte, die bloß zur Politik gekommen waren, weil kein Mann sie haben wollte.
Die Frauengefängnisse füllten sich. Für viele Jahre wurde ein Großteil der militanten Frauenbewegung vom Kampf um die Haftbedingungen
in Beschlag genommen. Die Behandlung der einsitzenden Suffragetten, zeitweilig mehr als 1000 gleichzeitig, glich der gewöhnlicher
Krimineller. Die Rechte politischer Gefangener, wie eigene Kleidung sowie der Besitz von Büchern, Zeitungen und Schreibmaterial,
wurde ihnen verwehrt. Stattdessen mussten die inhaftierten »Störerinnen der öffentlichen Ruhe und Ordnung« die groben Anstaltskittel
tragen, in Einzelzellen hausen, die dunkel, schmutzig, feucht und kalt waren. Lektüre gab es nicht, Briefe durften sie nicht
empfangen. Unter den mittelalterlichen Zuständen wurden manche der Gefangenen verrückt, viele zogen sich schwere Krankheiten
zu.
Gegen die entwürdigenden Haftbedingungen protestierten die Frauen mit Hunger-, später auch mit Durststreiks. Die Staatsgewalt,
die keine Märtyrerinnen wollte, ordnete Zwangsernährung an. Emmeline Pankhurst schildert in ihren Memoiren die grässliche
Prozedur; Opfer ist in diesem Fall eine ihrer Freundinnen: »Zwei Ärzte und die Wärterinnen … drückten Mrs. Leigh auf ihr Bett
nieder und hielten sie so fest. Zu ihrem Entsetzen holte ein Arzt einen zwei Meter langen Gummischlauch hervor und stopfte
ihn in eines ihrer Nasenlöcher. Der Schmerz war so schrecklich, dass sie immer wieder schrie … Der Schlauch wurde bis in den
Magen gestoßen. Ein Arzt stand auf einem Stuhl, hielt den Schlauch hoch und goss durch einen Trichter flüssige Nahrung hinein,
womit er das arme Opfer beinahe erstickte. ›Meine Trommelfelle schienen zu platzen‹, sagte sie später. ›Ich konnte den Schmerz
bis ins Brustbein spüren. Als endlich der Schlauch entfernt wurde, fühlte es sich an, als ob meine Nase und Kehle mit ihm
herausgerissen würden.‹ In fast bewusstlosem Zustand wurde Mrs. Leigh zurück in die Strafzelle gebracht und auf ihr Holzbett
gelegt. Die qualvolle Behandlung wurde Tag um Tag wiederholt.«
Proteste von Seiten der britischen Ärzteschaft und eine wachsende Empörung in der Öffentlichkeit ließen die Behörden von diesen
Torturen vorläufig absehen. Stattdessen wandten sie eine neue Methode an, die unter den Betroffenen bald »Katz und Maus« hieß:
Sobald sich eine Gefangene durch Hunger- oder Durststreik in akuter Lebensgefahr befand, wurde sie entlassen, blieb
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