Frauen, die Geschichte machten
Gesinnungen sog Emmeline geradezu auf, mit 14 Jahren nahm sie an ihrer ersten Versammlung zum Frauenwahlrecht
teil. Als 15-Jährige wurde sie nach Paris auf eine fortschrittliche Mädchenschule geschickt. Nach Manchester zurückgekehrt,
heiratete sie 1879 den über zwanzig Jahre älteren Rechtsanwalt Richard Pankhurst, der, wie konnte es anders sein, gleichfalls
ein Streiter für das Wahlrecht der Frauen war. Emmeline brachte fünf Kinder zur Welt, drei Töchter und zwei Söhne, von denen
der eine, Frank, schon im Alter von fünf Jahren an Diphterie starb. Familiären Angelegenheiten widmet sie in ihren Erinnerungen
nur wenige Zeilen. Wichtiger ist ihr die eigene politische Entwicklung.
1885 nach London übergesiedelt, im Jahr zuvor aus der Liberalen Partei aus- und in die sozialistische Fabian Society eingetreten,
wurden die Pankhursts zum Mittelpunkt eines wachsenden Kreises von linksradikalen Freunden und Freundinnen. Emmelines Mann
unternahm mehrere Anläufe, einen Sitz im britischen Unterhaus zu bekommen, die alle fehlschlugen. Geschäftlich ging es auch
nicht voran, seine Schulden nahmen zu. Emmelines Versuch, mit Gründung eines Modeladens die Familienfinanzen aufzubessern,
war genauso wenig Erfolg beschieden. Auch diese Dinge werden in ihrem Lebensbericht nur am Rande erwähnt.
1893 kehrte die Familie nach Manchester zurück, und hier machte Emmeline einschneidende Erfahrungen. Man hatte sie in ein
Ehrenamt gewählt, in den Ausschuss für Armenrechtspflege. Die neue Deputierte, Angehörige der bürgerlichen Mittelschicht,
Tochter aus gutem Hause, lernte während dieser Zeit haarsträubende Zustände kennen: Sozialpolitiker, die nur darauf bedacht |214| waren, die staatlichen Ausgaben klein zu halten, alte Menschen, die ohne die geringste Privatsphäre in so genannten Arbeitshäusern
untergebracht waren, schlecht ernährte Jugendliche ohne Chance auf eine Ausbildung, junge Frauen, die ihre Kinder wegen Armut
weggeben mussten, und alte Frauen, die trotz eines Leben voller Arbeit keine Mittel für die Alterssicherung besaßen. Emmelines
Schluss aus ihren Erfahrungen lautete, dass eine Besserung erst eintreten würde, wenn den Frauen die aktive Teilnahme an der
Politik gewährt werde. Es war ihre Überzeugung, dass die Frauen schon Wege finden würden, um aus dem Elend herauszukommen,
wenn man sie nur ließe. Frauen hätten viel pragmatischere Vorstellungen zur Armutsbekämpfung als Männer. Schlüssel war und
blieb das Stimmrecht: »Ich begann das Wahlrecht für Frauen nicht nur als unser Recht, sondern als eine verzweifelte Notwendigkeit
zu betrachten.«
Was hatte es denn mit dem Wahlrecht auf sich? Nicht mal alle Männer besaßen es. Wie noch mancherorts auf dem Kontinent, galt
auch in England ein Zensus, der politische Rechte an Einkünfte und Besitz knüpfte. Und ein Frauenwahlrecht gab es noch nirgendwo,
höchstens in so fernen Gebieten wie Australien und Neuseeland. In England kämpfte eine Frauenbewegung schon lange für dieses
Recht. Ihr aber standen Regierungen gegenüber, die sich als ganz besonders hartleibig und widerspenstig erwiesen, ganz gleich
ob es sich um solche der Konservativen oder der Liberalen handelte. Dass der Kampf ums Wahlrecht, der überall in Europa und
Amerika mehr oder weniger heftig ausgetragen wurde, die wildesten und härtesten Formen ausgerechnet in England annahm, lag
nicht zuletzt an der ungeheuren Dickfelligkeit der englischen Politiker, die glaubten, alles käme ins Wanken, wenn sich Frauen
ins politische Geschehen mischten. Seit 1860 gab es in Großbritannien Gesellschaften für das Frauenstimmrecht, 1884 war der
erste Antrag im Unterhaus auf Frauenstimmrecht eingebracht worden, seit 1880 ließ man Frauen auf Universitäten zu, seit 1894
konnten sie auch in Gemeinde- und Bezirksräten sitzen, gewählt von Männern. Selbst wählen aber kam nicht in Frage, mit allen
Mitteln wussten die Regierungen das zu verhindern.
1898 starb Richard Pankhurst, und Emmeline musste fortan ihre Kinder allein durchbringen. Sie nahm den bezahlten Posten einer
Standesbeamtin an und führte Buch über Geburts- und Todesfälle. Auch hier herrschte noch strikte Trennung: Eheschließung fiel
nicht in ihr Ressort, dafür waren Männer zuständig. Im Jahr 1900 ließ sich Emmeline Pankhurst in die städtische Schulkommission
wählen und wurde dem Ausschuss für Berufsausbildung zugeteilt. Und wieder, wie seinerzeit im Ausschuss für
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