Frauen, die Geschichte machten
Lesern von August von Platens Ballade »Das Grab im Busento« (1820) geläufig, machte der Tod Alarichs, den seine Goten
»allzu früh und fern der Heimat« begraben mussten, alle Pläne zunichte. Die Übersiedlung nach Afrika fand nicht statt. Alarichs
Schwager Athaulf übernahm die Führung des Westgotenvolkes. Dieser erwies sich als ein Mann mit Visionen; er wollte das Römische
Reich erhalten und es mit der frischen, unverbrauchten Kraft der Goten von innen her erneuern, keineswegs aber ein gotisches
Reich an seine Stelle setzen. Bestärkt wurde er darin durch Galla Placidia. Die »Geisel« betrachtete sich schon längst nicht
mehr als Häftling, sie zog bereitwillig mit den Westgoten nach Gallien, wo Athaulf sich im Gebiet um Narbonne vorerst niederließ.
Dort heiratete sie den König im Januar 414 in einer Zeremonie nach römischem Brauch. Athaulfs Hochzeitsgeschenk bestand aus
50 Sklaven in seidenen Gewändern. Jeder trug zwei Schüsseln mit Gold und Edelsteinen. Die Preziosen stammten, wie jeder sehen
konnte, von Alarichs römischem Beutezug – woher hätte sie der Gote auch sonst haben können.
Noch im selben Jahr 414 brachte Galla Placidia ein Kind zur Welt. Der Knabe erhielt den Namen Theodosius. Dahinter stand ein
deutliches politisches Programm. Es zielte auf das Gesamt-Rom, über das Galla Placidias Vater Theodosius der Große einst geboten
hatte. Doch nichts davon ließ sich verwirklichen. Athaulf konnte sich in Gallien nicht gegen eine römische Armee halten, die
von einem Heermeister namens Constantius geführt wurde. Die Westgoten wichen nach Spanien aus. Der kleine Theodosius starb
415 in Barcelona, sein Vater Athaulf gleichfalls, als Opfer eines privaten Racheaktes unter Goten. Der Tod des Königs brachte
eine neue Gruppierung an die Macht, der am römischen Imperium nichts gelegen war. Das gotische Wandervolk wählte Segerich
zum König. Er hatte nur eine Woche Frist, dann wurde er ebenfalls umgebracht. In dieser Zeit musste Galla Placidia Schlimmes
durchmachen. Sie wurde in Ketten gelegt und musste zu Fuß vor seinem Pferd herlaufen. Segerichs Nachfolger Vallia (Walja)
lieferte sie schließlich an den Kaiserhof in Ravenna aus. Er erhielt dafür 600 000 Scheffel Getreide. Etwa 15 000 Krieger samt ihrem Anhang konnten davon ein Jahr leben. Kaiser Honorius, nun wieder ihr Vormund, der er bereits vor der
Ehe mit Athaulf gewesen war, gab seine Schwester dem erfolgreichen General Constantius zur Frau. Mit der Heirat war Galla
Placidia nicht einverstanden, aber das spielte keine Rolle. Am 1. Januar 417 fand ihre zweite Eheschließung statt. Zwei Kinder
entsprossen der Verbindung, Valentinian und Honoria. Im Februar 421 wurde Constantius zum Mitkaiser des Weströmischen Reiches
erhoben, Galla Placidia erhielt den Titel »Augusta«.
|46| Constantius starb im September 421 an einer Rippenfellentzündung. Selbst erst 32 Jahre alt, war Galla Placidia nun zum zweiten
Mal Witwe. Ihre Stellung am Kaiserhof von Ravenna wurde rasch unhaltbar, vor den Kabalen, die seitens des Kaisers und seiner
Umgebung gegen sie getrieben wurden, wich sie nach Konstantinopel aus. Dort regierte ihr Neffe, der auch den signifikanten
Namen Theodosius trug. Theodosius II. war Galla Placidia allerdings wenig gewogen. Das änderte sich aber schlagartig, als
der weströmische Kaiser Honorius im August 423 an der Wassersucht starb und ein Usurpator namens Johannes sich zum Nachfolger
aufschwang. Schon stand Galla Placidia mit ihrem Sohn Valentinian im Brennpunkt weitreichender politischer Überlegungen. Denn
der oströmische Kaiser Theodosius sah jetzt einen Anlass, sich im Westen einzumischen. Er verlobte seine zweijährige Tochter
mit dem fünfjährigen Valentinian. Und er sandte eine Armee von Dalmatien aus nach Italien, die mit Johannes und seiner Staatsstreich-Partei
aufräumte.
Galla Placidia kehrte im Triumph heim nach Ravenna. Jetzt konnte sie regieren, im Namen ihres Sohnes, der als Sechsjähriger
im Oktober 425 auf den Kaiserthron des Weströmischen Reiches gesetzt wurde. Zwar stand sie selbst unter Vormundschaft, diesmal
ihres Neffen Theodosius II., aber der war bald mit Problemen seines eigenen Reiches überaus beschäftigt, sodass er die Regentin
in Italien gewähren ließ.
Im desolaten Weströmischen Reich war es eigentlich nur noch die Armee, die leidlich funktionierte, und wer hier die Führung
hatte, konnte auch in anderen Bereichen Einfluss
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