Frauen sind auch nur Männer (German Edition)
schildert Don DeLillo ein inzwischen sagenhaftes Baseballspiel zwischen den Giants und den Dodgers. Der spielentscheidende Schlag wurde der »Home-Run des Jahrhunderts«. Der Ball flog in die Menge und ward nicht mehr gesehen. Der halbwüchsige Farbige Cotter Martin erkämpft sich ihn als Souvenir und rettet ihn aus dem Hexenkessel des Stadions. Der Ball wechselt dann seinen Besitzer durch die bewegteste Zeit der amerikanischen Geschichte: Atombombe, Kalter Krieg, Müll, Graffiti-Kultur, Internet.
Hat also der Messermann den Rasen beim 2 : 2 von Hertha gegen Düsseldorf geklaut, weil er ein wertvolles Zeitdokument sichern wollte? Für eine überbordende Romanhandlung? Kurz nach dem Spiel schmiss Merkel Röttgen raus, ging Facebook an die Börse, wurde Griechenland für pleite erklärt, die Berliner Flughafeneinweihung auf den März 2013 verschoben. Auch die Elfmeterpunkt-Geschichte könnte Kern eines deutschen »Underworld«-Romans werden, der von einer historischen Wende in Europa handelt.
26 . Mai 2012
Friedenstauben und Unkenrufe
Pfingsten gestern, heute, morgen – Goethes Fabel, Honeckers Lied und ein Satz über Pythagoras
Tief im letzten Jahrtausend las ich zur schönsten Maienzeit, weil ich deutsche Literatur studierte, Goethes Versepos »Reineke Fuchs«, dessen »Erster Gesang« so anhebt: »Pfingsten, das liebliche Fest, war gekommen! Es grünten und blühten/Feld und Wald; auf Hügeln und Höhn, in Büschen und Hecken/Übten ein fröhliches Lied die neuermunterten Vögel …«
Das sind Hexameter, sechsfüßige, in leicht hüpfenden, tänzelnden Daktylen. Goethe hatte sie 1793 Homers »Ilias« und »Odyssee« nachempfunden, die Johann Heinrich Voß mit schulmeisterlicher Akkuratesse und genialem Nachempfinden übersetzt hatte. Die Geschichte war eine Tierfabel, wie sie in der Antike der Grieche Äsop schrieb, mit einem Löwen als König, einem Schaf als tumbem Opfer, dem Wolf als Gierschlund und dem listigen, hinterlistigen Fuchs, eine Satire auf Duodez-Gesellschaft und intrigante Politik.
Damals, als die neuen Bundesländer im Westen noch »Zone« hießen, sang die FDJ unter Erich Honecker, der ein blaues Hemd, ein Pioniertuch um den Hals und kurze Hosen trug: »Was machen wir zu Pfingsten, wenn die Wiesenblumen blühn?/Da fahrn wir nach Karl-Marx-Stadt über Autobahn und Schien’.« In Chemnitz, das damals schon und noch nach Marx, den es als großen Kopf beherbergt, hieß, fanden die kommunistischen Arbeiter- und Jugendfestspiele statt, mit Klampfe und Chor unter Picassos Friedenstaube.
Tempi passati, das war einmal! Diesmal bin ich vor den Eisheiligen, vor Kälte und Nässe nach Apulien geflohen, wo ich von ihnen eingeholt wurde, während in Hamburg pfingstliche Wärme einzog. So kann es gehen. Nahe dem Hotel, das sich Francis Coppola, der italo-amerikanische Filmemacher, in seiner einstigen Heimat klein und mit rustikaler Finesse gebaut hat, liegt der große griechische Mathematiker Pythagoras begraben, in zehn Kilometer Entfernung sieht man das Meer und ahnt Griechenland.
Der Sänger der Stunde und der griechisch-europäischen Wirtschaftsmathematik ist Sarrazin, in der Satire wäre er die große Unke. Und den Fuchs gäbe Facebooks Zuckerberg, der die neueste Börsenblase mit großem Zockergewinn hat platzen lassen. Zu Pfingsten!
9 . Juni 2012
Ballaballa vor dem Spiel
Wie ist das mit der Enthaltsamkeit vor Großturnieren? Harte Tage für Boateng und Model Gina-Lisa
Leise schleich’ ich wie auf Eiern
Mich aus Liebchens Paradies,
Wo ich hinter dichten Schleiern
Meine besten Kräfte ließ.
»Morgenstimmung« heißt das Gedicht von Frank Wedekind, von dem man weiß, dass er alles erprobend praktizierte, was er besang. Vielleicht war die Stimmung des deutschen Fußball-Abwehrspielers Jerome Boateng ähnlich traurig, als er frühmorgens aus einem Berliner Hotel zum EM -Abflug taperte, nachdem er sich, wie die ganze Nation weiß, mit dem Nacktmodel Gina-Lisa (besonderes Kennzeichen: zwei Fußbälle im Korb) auf harte Tage vorbereitet hatte. Der deutsche Nationaltrainer Löw war »not amused« über die Spielmoral und zeigte sich »extrem enttäuscht«. Passenderweise nahm er sich den Nationalverteidiger zur Brust und sagte ihm: »Mir hat nicht gefallen, was da passiert ist.« Ich weiß nicht, ob Boateng geantwortet hat: »Mir schon.«
Jedenfalls sah Jogi Löw sein Vertrauen missbraucht. Er hatte seinem Nationalspieler ein letztes Wochenende geschenkt, um für die EM Kraft zu tanken.
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