Frauen sind auch nur Männer (German Edition)
Man könnte nun sagen, dass Wedekinds poetische Aussage gegen Boateng und für Löw spricht. Danach sind die besten Kräfte futsch, wenn man auf diese Weise vor dem Spiel angreift, statt im Spiel zu verteidigen. Löw hat dem Nationalspieler eine Aufgabe gestellt: »Er muss in der Lage sein, sich in den nächsten Wochen zu zerreißen.«
Nun ist das mit der Enthaltsamkeit von Leistungssportlern vor großen Spielen so ein Ding. Wie in der Witzpointe: Die einen sagen so, die anderen so. Und in Löws EM -Programm ist neben Essen, Trinken, Schlafen der Kasernenbesuch durch die Fußballbräute nach dem Spiel durchaus vorgesehen.
Nach dem Spiel! Vielleicht hat Boateng die alte Fußballweisheit verinnerlicht: Vor dem Spiel ist nach dem Spiel. Und nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Und ob er bei Gina-Lisa nur Kraft und Saft verloren hat und nicht doch auch zumindest seelisch Siegerlaune aufgetankt hat, ist nicht auszumachen.
Klar jedoch ist, dass wir heute alle, wenn die Öffentlichkeit nur will, gläserne Menschen sind. Durchsichtig wie ein dünner Schleier. Glücklicher Wedekind, der sich noch leise, »wie auf Eiern«, aus dem Paradies schleichen konnte und dabei unbemerkt blieb.
Das Schreckliche ist, dass Boateng bitter bezahlen muss. Deutschland spielt ohnehin in der Hammergruppe gegen die größten Rivalen, gegen Holland, gegen Portugal und gegen Dänemark. Da kann man später alles Boateng in die voreilig ausgezogenen Fußballschuhe schieben.
16 . Juni 2012
Der Bajazzo als Seifenoper
Von einem Bestatter, der in der Oper unter der Dusche Arien schmettert – Woody Allen kehrt zu seinen Komik-Wurzeln zurück
Glamour und Glanz der italienischen Oper, ihre Belcanto-Strahlkraft und orchestrale Wucht haben Woody Allen schon als jungen Komiker fasziniert. So hat er in einer Short Story seinen Nebbich-Helden Nadelmann in den ersten Rang der Mailänder Scala gesetzt, bis er einmal vor frenetischer Begeisterung im Schlussbeifall kopfüber in den Orchestergraben stürzt, was sehr schmerzhaft ist.
Um nun nicht als lächerlicher ungeschickter Unglücksrabe dazustehen, wiederholt Nadelmann den Sturz künftig bei jedem Scala-Besuch stoisch. Um seine Würde, wenn auch unter Schmerzen, zu bewahren. Mit dieser Repetition bestätigt er Henri Bergsons Theorie von der Mechanik der Komik. Und Schillers Einsicht, dass es nur ein winziger (Stolper-)Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen sei.
In seiner neuesten Sightseeing-Kinokomödie »To Rome With Love« (sie kommt im Juli in die US -Kinos) kehrt der wunderbar knittrige und knattrig nörgelnde alte Woody Allen zu seinen Slapstick-Anfängen und deren komischer Mechanik zurück. Er besucht die künftigen Schwiegereltern seiner Tochter, und als ehemaliger Opernregisseur und Manager hört er den Bestattungsunternehmer unter der Dusche singen, wenn der sich nach dem Präparieren von Leichen reinigt.
Er singt göttlich »Lache, Bajazzo!« von Leoncavallo. Woody schleppt ihn zum Vorsingen. Aber er fällt kläglich durch. Denn er kann nur unter der Dusche singen, in der schützenden Einsamkeit der Nasszelle. Was tun? Allens New Yorker Opern-Agent verzagt nicht. Wenn der Bestatter nur unter der Dusche schmettern kann, muss halt die Brause mit auf die Bühne. Also hört und sieht man den Bestatter sein »Ridi, pagliaccio!« in einer auf die Bühne montierten Dusche singen, sich unter der Achsel einseifen, mit einer Bürste über Bauch und Rücken schrubben und die untreue Frau erdolchen. Das bis in die obersten Ränge reichende festliche Publikum gerät klatschend aus dem Häuschen. Und ist nicht ein Bestatter, der nur tropfend singen kann, auch eine Art tragischer Narr?
Die göttliche Idiotie der Oper ist getroffen. Und die Duschzelle? Könnte sie nicht vom modernen Regietheater bei Leoncavallos »Bajazzo« als genialer Seifenoper-Einfall auf der Bühne wieder einen Nadelmann zu einem Sturz in den Orchestergraben animieren?
30 . Juni 2012
Am Tag danach
Am »Tag danach«, nach einem bösen Erwachen wie aus einem Albtraum, war das Fahnen- und Fähnchenmeer aus dem Straßenbild verschwunden. Kein Schwarz-Rot-Gold mehr als Wimpel, Rückspiegelschoner, Balkonbeflaggung, Rasenbespannung. Auch in den Gesichtern hatten die Leute sich Schwarz-Rot-Gold abgeschminkt. Mit einem Schlage weg, nachdem Italien »uns« 2 : 1 k.o. geschossen hatte.
Wüsste man es nicht besser, aus der Seefahrt und dem Seekrieg, man würde meinen, die politische Phrase vom »Flaggezeigen« sei mit dem
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