Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
Lieblingsdichtung des gebildeten Europa war.
Als der Besuch sich dann schon dem Ende zuneigt, fällt von Hohorsts Blick auf einen anderen Schrank voller gehefteter Manuskripte, und er fragt den berühmten Autor, ob es sich wohl um die Originale seiner Romane handele. Daraufhin enthüllt er ihm, es seien lauter Briefe von Leserinnen, verschiedensten Alters und aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten, die er seit dem Erscheinen des ersten Bandes der Pamela erhalten habe. Eine der ersten Zuschriften stammte von der irischen Dichterin Mary Barber. Zwei enthusiastische Schreiben, die er wenig später bekam, waren mit »Six Ladies of Reading« unterzeichnet. Richardson hatte sich die Mühe gemacht, beinahe jedes Schreiben zu beantworten. In einigen Fällen ergab sich daraus ein Briefwechsel, zumal der Autor seine Leserinnen geradezu einlud, ihm ihre Lektüreerlebnisse mitzuteilen – und das keineswegs nur aus Sympathie. Richardson hatte die Angewohnheit, Passagen, die seinen Leserinnen nicht gefielen oder die sie nicht in seinem Sinne verstanden, für die nächste Auflage neu zu schreiben. Außerdem erschienen Romane damals in Fortsetzungen, und Richardson war ständig auf der Suche nach Material - Motiven, Wendungen, weiblichen Eigentümlichkeiten. Es kam vor, dass er ganze Absätze der ihm zugeschickten Briefe beinahe wortwörtlich in das augenblicklich entstehende Werk übernahm. So eng war auch auf Autorenseite das Band zwischen Leben und Literatur geknüpft.
Die Neugierde seines Besuchers aus Deutschland bemerkend, ist Richardson gleich bereit, von Hohorst einige der Briefe vorzulesen. Die unerwartete Lektüre der Korrespondenz des Schriftstellers mit seinen Leserinnen wird zum eigentlichen Höhepunkt des Besuches. Tief beeindruckt schreibt von Hohorst an seinen Neffen im fernen Kopenhagen: »Was waren das für schöne Briefe; und wie unbeschreiblich schön waren die Antworten.«
Samuel Richardson war bis zu seinem fünfzigsten Geburtstag ein selbstständiger Buchdruckermeister in Londons Fleet Street. Wohl war sein Name einmal auf einer schwarzen Liste »unerwünschter Drucker« aufgetaucht, und es wurde ihm auch ein ausgezeichneter Riecher für die Trends im rasch expandierenden Buchmarkt nachgesagt, aber insgesamt war sein Leben bislang durchaus unauffällig verlaufen. Die Entstehungsgeschichte seines ersten Romans ist legendär: 1739 machten ihm zwei seiner buchhändlerischen Teilhaber den Vorschlag, einen schmalen Band mit Musterbriefen zu verfassen, der auf die Bedürfnisse junger Damen vom Land abgestellt war, die Briefe schreiben wollten (oder mussten), darin aber keine Übung besaßen. Derartige Briefsteller, wie sie in Deutschland genannt wurden, waren in den Niederlanden schon seit Mitte des 17. Jahrhunderts, in den umliegenden Ländern seit der Jahrhundertwende sehr gefragt. Man kann sie sich so ähnlich wie die heutigen Leitfäden zur erfolgreichen Bewerbung vorstellen, die mit Vorlagen und ausformulierten Anschreiben versehen sind. Der Vergleich ist auch insofern passend, als die Fertigkeit, höflich und in einer guten, natürlichen Schreibart Briefe zu verfassen, damals über den Zugang zur Gesellschaft und über eine Anstellung entscheiden konnte.
Während der Arbeit an dem Briefsteller kam Richardson die Idee zu einem Roman, dessen Hunderte von Seiten er mit fliegender Feder zwischen November 1739 und Januar 1740 niederschrieb, hochgradig motiviert von seiner Frau und ihren Freundinnen, die den Fortgang der Geschichte mit angehaltenem Atem verfolgten. Zeitweise brachte er täglich, ohne seine übrige Arbeit zu vernachlässigen, dreitausend Wörter und mehr zu Papier. Doch hören wir Richardson selbst:
Ich schrieb zwei oder drei Briefe zur Unterrichtung attraktiver Mädchen, die sich bei fremden Leuten verdingen mussten, wie sie den Fallen entgehen können, die man ihrer Tugendhaftigkeit stellt – und auf einmal stand mir Pamela vor Augen … Anfangs dachte ich kaum an einen, geschweige denn zwei Bände … Geschrieben in einem leichten und natürlichen Ton, der zur Einfachheit der Geschichte passte, schätzte ich, könnten sie eine neue Art zu schreiben begründen, die bei jungen Leuten womöglich eine neue Art des Lesens in Gang setzte, welche sich von dem Pomp und dem Prunk der alten Romanschreiberei unterschied. Und die Abkehr vom Unwahrscheinlichen und Phantastischen, von dem die Romane im Allgemeinen voll sind, könnte, so dachte ich weiter, dazu dienen, die Sache der Religion
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