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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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begegnete.
    Schon äußerlich waren die beiden ein ungleiches Paar. Sylvia war fünf Jahre älter als Adrienne, sah aber mindestens fünf Jahre jünger aus als ihre Freundin. In Kleidung und Auftreten erinnerte die füllige, mütterliche Adrienne an eine Mischung aus Äbtissin und Bäuerin. Sylvia hingegen war hager, drahtig, jungenhaft; nie legte sie Rouge oder Lippenstift auf. Sie bestand darauf, kurze Röcke zu tragen; keineswegs um sexy zu wirken, sondern weil sie ihr Bewegungsfreiheit verschafften. Und Taschen mussten sie haben – ein arbeitender Mensch braucht stets Taschen, lautete ihre Devise. Sie vereinbarte androgynenhaftes Aussehen mit einem forschen Auftreten in pragmatischer Absicht, das sofort die Amerikanerin erkennen ließ. Während Adrienne bedächtig, beinahe philosophisch redete, hatte Sylvia eine flinke Zunge und liebte die pointierte, geistreiche Bemerkung. In der Beziehung der beiden Frauen übernahm Adrienne die Rolle der Hausfrau und Mutter: Sie kochte für Sylvia, sorgte sich um ihre Gesundheit und integrierte sie in ihre Familie, in der Sylvia behandelt wurde wie eine eigene Tochter.
    Ohne Schulbildung war Sylvia Beach der Prototyp einer Autodidaktin: einerseits anlehnungsbedürftig dort, wo sie von dem Wissens- und Erfahrungsvorsprung eines anderen profitieren konnte, andererseits stolz darauf, auf eigenen Füßen zu stehen, und auf ihre Unabhängigkeit bedacht. Ihre erste Begegnung mit französischer Literatur trug sich an den Ständen der Bouquinisten an der Seine zu, nicht im rigiden, patriarchalischen französischen Schulsystem, das Adrienne Monnier durchlaufen hatte. Für Letztere war in Büchern die Tradition niedergelegt oder doch das, was ihr einst angehören würde. Für Sylvia Beach hingegen war ein Buch ein Mittel, der Enge der eigenen Herkunft zu entkommen und die Tradition über den Haufen zu werfen.
    Der Name, den Adrienne Monnier ihrer Buchhandlung gab, zielte auf den genius loci , den Geist dieses Ortes: Es sollte ein Haus für alle sein, die zu Büchern ein freundschaftliches Verhältnis hegen. Die Buchläden von Adrienne Monnier und Sylvia Beach luden zum Stöbern ein, dazu, in der Nähe des Ofens Platz zu nehmen und zu schmökern, mit der Buchhändlerin sich über die Neuerscheinungen zu unterhalten. Beide kannten jedes einzelne Buch in ihrem Laden; sie hatten es ausgesucht, weil sie ein lebendiges Interesse daran nahmen. Die Läden repräsentierten die jeweiligen Lesegewohnheiten ihrer Besitzerinnen, ihre Vorlieben, Kenntnisse und Passionen. Monnier und Beach waren nicht nur Buchverleiherinnen und -händlerinnen, sondern vor allem Buchliebhaberinnen und Leserinnen. Ihre Buchläden waren für jene gedacht, die sich keine Privatbibliothek leisten konnten. Besucher wurden ermuntert, Bücher nach Hause mitzunehmen, Bekanntschaft mit ihnen zu schließen und dann über den Kauf zu entscheiden.
    Beide waren Amateurinnen, auch Adrienne Monnier, von der sich Sylvia Beach bei der Gründung des eigenen Ladens so viel abschaute. Adrienne Monnier hatte intensiv darüber nachgedacht, dass das Erfolgsgeheimnis ihres Ladens in der Beschränkung lag, die die knappen Geldmittel ihr auferlegten. Hätte sie aus dem Vollen schöpfen können, so hätte sie sich wohl nicht auf zeitgenössische Werke spezialisiert, sondern alles erworben, was gut und teuer war; dann hätte sie nicht nur eine einzige Wand mit Büchern bedeckt und die anderen mit Bilden geschmückt; dann hätte sie ihren Laden nicht mit gebrauchten Möbeln ausgestattet. Dass der Laden eigentlich gar nicht wie ein Geschäft aussah, entsprach nicht ihrer ursprünglichen Absicht; auch lag ihr der Gedanke fern, dass man ihr eines Tages Lob für etwas aussprechen würde, das ihr »wie ein armseliger Notbehelf vorkam«, für den sie sich eigentlich schämte. Dann hätten ihr und auch Sylvia Beachs Laden aber nicht jener Zauberkammer geglichen, die sie in der Erinnerung an die Anfänge ihrer Tätigkeit als Buchhändlerin heraufbeschwört. In dem Augenblick, da er diese Kammer betritt, gebe ein Mensch, so meinte sie, seine Persönlichkeit preis: Man muss ihn nur zu beobachten verstehen. Dieser Gast im Haus der Bücher, als den sie jeden Neuankömmling betrachtete, hat so gar nichts von einem Kunden; er ist ein potenzieller Freund.
    Die Verbindung von Buchhandlung und Leihbücherei war keineswegs neu, sondern ein Erbe der Aufklärung, ursprünglich entstanden, um auch jenen zu Büchern zu verhelfen, die sich ihre Anschaffung aufgrund der

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