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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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Zombies und schreienden Jungfrauen, die von Axtmördern niedergemetzelt werden
    Musefic – eine Geschichte, in der der Autor Zwiegespräche mit seinen Musen führt, etwa unbestimmten Mächten oder auch einer seiner Lieblingsfiguren
    Resfic – resurrection fic , eine Geschichte, in der eine bereits tote Figur wieder zum Leben erweckt wird
    Spamfic – eine kurze, sinnlose Geschichte, voll schrägen Humors, die unaufhaltsam auf eine Pointe zusteuert
    Verbreitet sind auch Hinweise auf den Charakter der erzählten Geschichte. Sie sollen die Erwartungshaltung von Leserin und Leser steuern; nicht selten handelt es sich um Warnungen. CD , character death, weist darauf hin, dass eine Figur stirbt. Fluff hingegen bedeutet, dass hier Harmonie und Idylle im Übermaß zu erwarten sind. Rating beinhaltet eine Altersempfehlung; Timeline enthält Hinweise darauf, wann die Fanfic spielt, wie alt etwa die Figuren zu diesem Zeitpunkt sind. Torture bedeutet, dass Folterszenen vorkommen; Loli-con ist ein Hinweis auf Pädophilie, und Dub-con steht für dubious consent , also zweifelhafte Zustimmung: Es kommt im Verlauf der Geschichte zu sexuellen Kontakten, ohne dass eindeutig klar wird, ob zumindest einer der beteiligten Partner damit einverstanden ist oder nicht; im Zweifelsfall grenzt der sexuelle Kontakt an Vergewaltigung. Wie kaum anders zu erwarten gibt es eine Vorliebe fürs Zwielichtige. Vor allem jedoch gibt es nichts, was nicht auch in den vermischten Nachrichten vorkäme, und in der Regel sehr viel mehr, als davon im Originalwerk vorhanden ist. Gerade die besonders prüden, mit Sex geizenden Werke scheinen dazu einzuladen, die Fortschreibung um das zu erweitern, was Leser gegebenenfalls vermisst haben oder was ihnen ihre pornographische Phantasie eingibt.
    Es wäre also naiv zu meinen, Fanfiction sei einfach die Weiterdichtung der Originalwerke im Sinne des Autors. Schon Proust hat den von ihm verspotteten »fetischistischen Respekt vor Büchern« von seiner eigenen Art der maßlosen Identifikation unterschieden, die sich nicht damit abfinden konnte, dass das geliebte Werk ein Ende hat. Aus dieser Überschwänglichkeit heraus entsteht Fanfiction; Respekt vor dem Werk ist ihre Sache gerade nicht. Wo Identifikation mit im Spiel ist, ist unsere Lektüre literarischer Werke in den seltensten Fällen nur braver Nachvollzug dessen, was ein Autor seinem Buch an Botschaften und Atmosphäre mehr oder weniger explizit mitgegeben hat. Stets lesen unsere persönlichen Wünsche, Begierden und Phantasien mit. Und in Fanfiction bekommen sie Gelegenheit, sich zu Wort zu melden und das Ausgangswerk zu bereichern, gegebenenfalls sogar zu konterkarieren, sich jedenfalls anzuverwandeln und es dabei abzuwandeln.
    Gerade weil die Autoren von Fanfiction sich in die Welt des Originals mit gesteigerter Intensität hineindenken, entdecken sie dort Lücken, die gefüllt, und »Fehler«, die korrigiert werden müssen. Zuweilen sind sie wahre Meister im Aufspüren von Handlungsfäden, die der Autor nur lose ins Erzählgewebe eingeflochten hat, und machen es sich zur Aufgabe, diese weiterzuspinnen und ihnen Geltung zu verschaffen. Sie versetzen das Originalwerk aus dem Zustand seiner vermeintlichen Abgeschlossenheit wieder in den der ursprünglichen Offenheit. Die Massivität und Alternativlosigkeit fiktionaler Welten besteht bloß auf den ersten Blick. Näher betrachtet, bei zweiter oder gar dritter Lektüre, sind sie porös, voller weißer Flecken und gespickt mit rätselhaften Stellen und unbelichtetem Material. In Harry Potter und der Feuerkelch , dem vierten Band der Reihe, gibt es gegen Ende eine Stelle, an der Dumbledore spontan vorschlägt, Sirius Black solle sich eine Weile »bei Lupin versteckt halten«. Gemeint ist Harrys ehemaliger Lehrer Remus Lupin. Was genau stellen Sirius und Remus im Versteck »bei Lupin« (chez Lupin) an? Rowling sagt darüber nichts, aber diese winzige Leerstelle hat eine Lawine von spekulativer Fanfiction hervorgebracht, sodass »Sich verstecken bei Lupin« (im Original: »lie low at Lupin’s«) zu einer bekannten Wendung im Harry-Potter-Fanfic-Universum geworden ist. Keine Geschichte ist je zu Ende erzählt in dem Sinne, dass alle Implikationen ausgeführt, alle Rätsel gelöst, alle Zweideutigkeiten beseitigt sind.
    Die Mutigeren unter den Schreibern von Fanfiction gehen indessen noch weiter: Sie identifizieren die Punkte, an denen die Geschichte einen bestimmten Verlauf nimmt und sich dann eine Zeitlang beinahe

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