Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
Fotokopien vervielfältigt, manchmal auch in kleinen Auflagen im Offsetdruck hergestellt. Interessant daran ist, dass die erste Fanfiction gar nicht auf ein literarisches Werk, sondern auf eine Fernsehserie Bezug nahm, die in intellektuellen Kreisen rasch Kultstatus gewann. Es handelt sich um kein ausgesprochen literarisches, sondern ein übergreifendes Medienphänomen. Noch heute gibt es neben der Fanfiction zu Büchern, die mittlerweile an erster Stelle rangiert, solche zu TV -Serien, Prominenten, Kinofilmen, Musicals, Comics und natürlich auch zu Computerspielen.
Und noch etwas anderes fiel von Anfang an auf: Fanfiction wird von jungen Frauen dominiert. Das war bereits bei Raumschiff Enterprise so. Obwohl eines der populärsten Werke im Bereich der Sciencefiction, war Star Trek , wie die Serie im Original heißt, in keiner Weise ein typisches Sciencefiction-Produkt. Die utopische, positive Zukunft, in der Raumschiff Enterprise spielt, verdankt sich zwar technischer Fortschritte, hat aber ebenso sehr soziale Dimensionen. Die ersten Frauen, die die Fangemeinden mit Lesestoff versorgten, waren Naturwissenschaftlerinnen: Physikerinnen, Chemikerinnen und Biologinnen, die etwa als Programmiererinnen oder Publizistinnen arbeiteten. In ihren Werken interessierten sie sich weniger für die technischen Aspekte der Serie als für die Figuren und deren Beziehungen. Sie waren auch nicht ausschließlich als Hommage, sondern zugleich als Kritik gedacht – ein Aufspüren der Grenzen, die das Original nicht überschreiten konnte oder wollte, und deren absichtliche Verletzung. Die dritte Ausgabe von Spockanalia beispielsweise enthielt eine Geschichte mit dem Titel »Besuch auf einem sonderbaren Planeten«, in der Captain Kirk, Commander Spock und Dr. »Pille« McCoy in das Studio transportiert werden, in dem Raumschiff Enterprise gerade gedreht wird, und mit den Schauspielern durcheinandergeraten, die sie darstellen. In der vierten Ausgabe dichtete eine Geschichte Spock ein Liebesverhältnis mit einem Angestellten der Vereinten Föderation an. Damit war die Büchse der Pandora geöffnet – ein Tabubruch, der sich als zukunftsträchtig erweisen sollte. Denn nun entwichen ihr mehr und mehr jene Geschichten, die die Figuren der Besatzung in erotische und sexuelle Beziehungen verwickelten. Was wäre etwa, wenn die intensive, durch Rivalität gekennzeichnete Freundschaft zwischen Kirk und Spock eine sexuelle Unterströmung besäße? 1974 machte Diane Marchant mit A Fragment Out of Time die Probe aufs Exempel, indem sie zwei Männer, die mittelbar als Kirk und Spock erkennbar waren, in eine schwule Liebesszene verwickelte. Die Idee wurde von den Fans der Serie so begeistert aufgegriffen, dass sich daraus eine Marke entwickelte: Kirk / Spock, abgekürzt K / S oder einfach nur Slash . Seitdem ist Slash ein Subgenre im Fanfiction - Universum, eine Story, die zwei Figuren gleichen Geschlechts verpaart, etwa Holmes / Watson (die bekannten Detektivfiguren aus den Geschichten von Sir Arthur Conan Doyle) oder Snape / Harry aus der Harry-Potter-Reihe.
Eine weitere Spezialität von Frauen-Fanfiction war die Einführung starker weiblicher Figuren in die Männerwelt von Raumschiff Enterprise . Ebenfalls 1974 veröffentlichte Paula Smith eine Geschichte, »A Trekkies Tale«, in der sie mit dem weiblichen Leutnant Mary Sue eine in Aussehen, Charakter und Mut überragende weibliche Figur an Bord schmuggelte, die Kirk, Spock und Dr. McCoy auch noch jeweils das Leben rettet. Gedacht war das als Parodie; die Schreiberinnen von Fanfiction entwickelten daraus ein weiteres Subgenre, in dessen Mittelpunkt die jeweils nach allen persönlichen Wünschen gestaltete Stellvertreter-Heldin steht, die zudem noch eine oder mehrere Liebesbeziehungen mit dem angestammten Personal des Originalwerkes eingeht. Die zwanghafte Selbstdarstellung solcher Mary-Sue-Figuren gibt in der Fanfiction-Szene mittlerweile Anlass für Spott und Häme.
Den Anteil von Autorinnen in den Gründerjahren von Fanfiction schätzen Beteiligte auf über achtzig, zuweilen an die neunzig Prozent – selbst dort, wo Sex eine Rolle in den Geschichten zu spielen begann. Mit der Übersiedlung von Fan-Magazinen auf Computerplattformen hat sich das etwas zugunsten der Männer verschoben. Es ändert nichts daran, dass Fanfiction der auch in der Welt der Bücher seltene Fall eines genuin weiblichen Phänomens ist. Man kann es sogar etwas genauer sagen: Es sind die jungen und ganz jungen Frauen, die
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