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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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Schweigen. Leserin und Leser sind in keiner Weise dazu verpflichtet, Auskunft über das zu geben, was sie lesen und warum sie es tun. Sie dürfen sich über ihr Lesen ausschweigen. Das ist, ohne Zweifel, ein sinnvolles Recht, insbesondere angesichts der herrschenden Pädagogisierung des Lesens, deren zentrale Frage stets lautet: »Also, was hast du eben gelesen? Was bedeutet das?« Pennac, einst selbst »Pauker«, spricht aus Erfahrung: Die Zumutung, auf diese Frage zu antworten – und das gar im Sinne eines Leistungsnachweises –, macht der durchaus vorhandenen Leselust in unzähligen Fällen den Garaus.
    Aus der Perspektive der Schreiber von Fanfiction wäre Punkt 10 des Pennac’schen Zehn-Punkte-Plans allerdings umzuformulieren. Er müsste stattdessen lauten:
    10 Das Recht, das Gelesene fortzuschreiben, ohne vorher die Erlaubnis des Autors einzuholen
    Fanfiction ist auch der Name für eine Erweiterung der Rechte von Lesern. Sie ist ein Beleg dafür, dass wir die Grenzen der Lesefreiheit seit dem 18. Jahrhundert immer noch weiter ausdehnen, bis hin zu dem Punkt, da die Leser selbst zu Akteuren werden und die geläufigen Grenzen von Autor und Leser zu verschwimmen beginnen. Fanfiction ist, ein wenig pathetisch gesagt, ein anarchischer Akt der Überschreitung: der Moment, in dem Leserin oder Leser die Welt betreten, die ein anderer geschaffen hat, und diese Welt im eigenen Namen und auf eigenes Risiko erneuern. Aber hatte der »Akt des Lesens« nicht immer schon etwas von solcher Unbotmäßigkeit?
    Fanfiction ist zweitens auch der Name für etwas nicht minder Erstaunliches: für die Rückeroberung der neuen, audiovisuellen Medien durch das alte Medium der Schrift, durch Schreiben und Lesen, und das in einem historischen Augenblick, da sich die Medien-, Sozial- und Kulturwissenschaftler und eine Mehrheit der Zeitgenossen darin einig sind, dass die neuen den alten Medien längst den Rang abgelaufen haben. Könnte es sein, dass sie sich irren? Dass die Gewalt der Bilder und Botschaften, die auf jeden Einzelnen von uns niederprasseln, wieder verstärkt das Bedürfnis entstehen lassen, sich Distanz zu verschaffen? Indem man die mediale Fertigware zwar als Anreger nutzt, dann aber daraus etwas macht, das ausdrücklich den Stempel des Persönlichen trägt? Und wie ginge das leichter als durch das Hämmern auf der Tastatur?
    Fanfiction ist drittens ein Beleg für eine tektonische Verschiebung im Literatursystem. Lag dessen Fokus früher eindeutig beim Autor, der von der Genieästhetik in den Rang eines gottgleichen Schöpfers gehoben wurde, so verlagert er sich zunehmend auf den Leser. Erst jetzt sehen wir, dass die Geschichte der Literatur nicht nur eine Geschichte der Werke und ihrer Autoren, sondern ebenso der Leserinnen und Leser ist. Wir billigen der Lektüre einen neuen Status zu: Sie ist selbst eine schöpferische Tätigkeit und verschwindet nicht einfach im Text. Definierten wir früher etwa einen Frauenroman als einen Roman, der von einer Frau verfasst ist und angeblich eine weibliche Handschrift trägt, so würden wir heute sagen: Frauenromane sind Romane, die von Frauen gelesen werden, unabhängig davon, wer sie geschrieben hat und wie weiblich ihre Protagonisten sind.
    Fanfiction ist viertens ein Beleg dafür, dass die verschiedenen Mediensysteme wie Literatur, Film, Fernsehserien oder Computerspiele im Verhältnis zueinander immer durchlässiger werden. Eine heutige Rezipientin begegnet einem Stoff beispielsweise zum ersten Mal im Kino, holt sich dann das Buch aus dem Regal des Bruders, spielt mit Freundinnen nächtens das betreffende Computerspiel und verfasst in den Freistunden ihre eigene Story dazu. Diese stellt sie auf FanFiktion.de, informiert ihren Freundeskreis darüber per Facebook, woraufhin sie zahlreiche Reviews erhält, darin enthalten die wiederholte Aufforderung, die Geschichte auch bei Amazon anzubieten, wo sie womöglich ein Verlagslektor entdeckt. A star is born . Die Medienindustrie prägt diesen Trend durch die Strategie des »transmedialen Erzählens«, wie es der Medienwissenschaftler Henry Jenkins genannt hat: Aus einem einzigen Stoff wird ein großes narratives Konstrukt geschaffen, das über verschiedene Vertriebskanäle hinweg funktioniert und es dem Konsumenten ermöglicht, über sein Lieblingsmedium einzusteigen. Fanfiction ist auch eine Reaktion auf diese neue Erfahrung der Medienkonvergenz.
    Fanfiction ist fünftens und letztens ein Beleg dafür, dass die erst in den vergangenen

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