Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
wenig Sinn. Die Töchter sollen nur nicht zu viel Geist an den Tag legen, denn das verringert ihre Chancen auf eine passable Partie. Nach einem Jahr als Gouvernante kehrt Mary frustriert nach London zurück, im Gepäck einen fast fertigen Roman und im Hinterkopf den Gedanken, von ihrer publizistischen Arbeit leben zu können. Die Heldin des Romans heißt Mary wie sie selbst, und ihr Werdegang weist auch ansonsten sehr viele Ähnlichkeiten mit dem der Autorin auf. Mary. A Fiction erzählt die Lebensgeschichte einer jungen Frau, die es nicht schafft, den Konflikt zwischen Vernunft und Leidenschaft in einer Weise aufzulösen, die ein Leben gelingen lässt. Mit siebzehn verheiratet ihr Vater sie an einen jungen Mann, den sie kaum kennt und der sofort nach der Hochzeit für ein Jahr ins Ausland gehen muss. In dieser Zeit verliebt sie sich in einen viel älteren, in Liebesdingen erfahrenen Geigenvirtuosen, der jedoch bald darauf stirbt – in ihren Armen. Wohl hält sie ihr Eheversprechen, doch die Leidenschaft, die von ihr Besitz ergriffen hat, lässt sie an der Seite ihres Gatten dahinsiechen, und das durchaus mit grimmiger Genugtuung. »Sie dachte, dass sie einer Welt zueilte, in der man weder heiratete noch verheiratet wurde.« Den grundsätzlichen Vorbehalt gegen die Ehe teilt die Autorin mit ihrer Heldin – doch hofft sie, für sich selbst etwas Besseres zu finden als den Tod.
Johnson wird nicht nur der Verleger von Mary Wollstonecraft, sondern auch ihr Mentor. Anfangs lässt er sie bei sich wohnen, leiht ihr Geld und kümmert sich um ihr Wohlergehen. Nicht etwa, weil er irgendwelche »Absichten« damit verbände – Frauen reizen ihn erotisch nicht –, sondern weil er als gewiefter Verleger Marys ungewöhnliche Begabung erkennt: ihre rasche Auffassungsgabe, ihre Sprachgewandtheit, ihre fixe Feder und ihren kritischen Geist. Johnson ist gerade dabei, mit dem Publizisten Thomas Christie eine neuartige Monatszeitschrift ins Leben zu rufen, die sie Analytical Review nennen: ein reines Rezensionsorgan, das dem allgemeinen Publikum die wichtigsten Neuerscheinungen auf dem exponentiell wachsenden Buchmarkt »analytisch«, und das meint kritisch, vorstellt; je nach Relevanz in Form einer knappen Notiz bis hin zum Umfang eines längeren Essays. Das besondere Augenmerk der Gründer gilt dem publizistischen Treiben auf dem Kontinent, zumal in Paris am Vorabend der Revolution. Auch in Sachen Leseverhalten ist von dort Revolutionäres zu vernehmen. »Alle lesen in Paris«, berichtet 1789, im Jahr des Sturms auf die Bastille, ein Reisender: Jeder – hauptsächlich aber die Frauen – habe dort ein Buch in der Tasche.
Man liest im Wagen, auf der Promenade, im Theater, in den Pausen, im Café, im Bad. In den Läden lesen Frauen, Kinder, Gesellen, Lehrlinge. Am Sonntag lesen die Menschen, die vor den Türen ihres Hauses sitzen; die Lakaien lesen auf ihrem Rücksitz, die Kutscher auf ihrem Bock, die Soldaten beim Posten stehen …
Neben Romanen kursieren philosophische und politische, aber auch pornographische Bücher, nicht zuletzt eine Unzahl von Schmähschriften und Satiren. Louis-Sébastien Mercier, der erste großstädtische Reporter, meldet in seinem zwischen 1781 und 1788 erschienenen Tableau de Paris , das bald auch auf Englisch vorliegt: »Es gibt Werke, die eine solche Unruhe hervorrufen, dass der Buchverleiher den Band in drei Teile zerschneiden muss, um die drängende Nachfrage der zahlreichen Leser bedienen zu können. Man zahlt dann nicht nach Tagen, sondern nach Stunden.« Machen Bücher womöglich Revolutionen?, beginnt man sich in London zu fragen. Condorcet, Thomas Paine und viele andere sehen das so und preisen in diesen Tagen die unbezwingbare Macht des Lesens.
Die Analytical Review wird von Johnson und Christie in der Absicht gegründet, die Pariser Leselust als eine Quelle der Revolution nach London zu importieren. Daran gemessen ist der Erfolg der neuen Zeitschrift mit tausendfünfhundert verkauften Exemplaren eher bescheiden. Aber nicht zuletzt dank Mary Wollstonecraft setzt sie Maßstäbe für die sich in dieser Zeit entwickelnde Literaturkritik. Lesen allein, so die Erkenntnis, nachdem sich die erste Euphorie angesichts der sich ausbreitenden Lesewut gelegt hat, schafft keine unmittelbaren Veränderungen. Der Inhalt der Lektüre gräbt sich in den Verstand der Leserinnen und Leser keineswegs ein wie in weiches Wachs. Etwas zu lesen heißt nicht zwangsläufig, daran zu glauben. Aber selbst wenn sich
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