Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
man immer weiter zitieren und würde doch dem grundsätzlichen Eindruck nichts hinzufügen.
Schon den Zeitgenossen drängt sich die Frage auf, ob Mary Wollstonecraft nicht allzu hart mit dem eigenen Geschlecht ins Gericht geht. Haben die verrissenen Werke nicht doch ihr spezifisches Recht, wie mehr als ein Jahrhundert später Virginia Woolf meinen wird – als tastende Gehversuche, in der Absicht unternommen, sich auf dem unwegsamen und teilweise feindlichen Gelände des literarischen Marktes zurechtzufinden, der in seinen Schlüsselpositionen, den Rollen des Verlegers und des Kritikers, nach wie vor (und zum Teil bis heute) fest in männlicher Hand ist? Haben die Unfertigkeit der Frauenromane und ihr Hang zur stümperhaften Nachahmung erfolgreicher Vorbilder nicht auch damit zu tun, dass sich die Autorinnen selbst in einer gesellschaftlich randständigen Position befinden, häufig nicht mehr Lebenserfahrung besitzen, als in das Wohnzimmer oder die Küche eines Bürgerhauses dringt? Es ist bezeichnend für Mary, dass sie für derlei Überlegungen wenig Verständnis aufbringt, sie im Gegenteil als Gefühlsduselei abtut. Ihre Sache ist eine Kritik, die ungeachtet des Geschlechts des Verfassers ausschließlich Qualität und Wirkung beurteilt. Dass Werke aus der Feder von Frauen besondere Rücksichtnahme verlangen, weil sie unter erschwerten Bedingungen entstehen, wäre ihr wie das Eingeständnis erschienen, dass die Frauen doch nicht für voll zu nehmen sind, weil sie, wie das gängige Vorurteil es will, nicht nur körperlich, sondern auch geistig das schwächere Geschlecht darstellen – quod erat demonstrandum .
Genau gegen diese Logik schreibt Mary Wollstonecraft zeitlebens an, als Romanautorin, als Pamphletistin und auch als Rezensentin. Aus eigener Erfahrung weiß sie, wie schwierig es ist, sich vom konventionellen Rollenverhalten zu lösen, das den Frauen aufgezwungen wird, und sich in einer Männergesellschaft zu behaupten. Dazu ist Unerschrockenheit erforderlich und dass man auf Sentimentalitäten nicht allzu viel gibt, während viele Romane, selbst die von Frauen verfassten, ein »überspanntes Gefühlsleben« zu dem einzig wahren weiblichen Charakter erklären. Daher die scharfen Geschütze, die sie dagegen auffährt: Sie richten sich gegen eine Reduzierung der Frau auf ihre Rolle als »gefühlsseliges Geschöpf«. Nicht »die Träumereien des Gefühls, sondern die Kämpfe der Leidenschaft«, schreibt sie, lassen uns gegen Zwänge aufbegehren und Grenzen überschreiten. In Das Unrecht an den Frauen oder Maria, ihrem zweiten Roman, an dem sie im letzten Lebensjahr schreibt, versucht sie dieses Programm umzusetzen. Das Geschehen verlegt sie kurzerhand an einen »Schreckensort«, wie ihn Füssli gemalt haben könnte – einen Schauplatz von real gewordenen Albträumen: die Irrenanstalt. Die erste Pointe ihrer Geschichte ist, dass die Figuren, die sie dort zusammenbringt, Verrückte nur sind in den Augen einer Gesellschaft, die Teile ihrer Mitglieder, insbesondere die Frauen, erniedrigt und beleidigt und die an ihrem Schicksal zerbrochenen Seelen dann zu Geistesgestörten erklärt. Nicht der Insasse der Anstalt, so Marys ganz und gar moderne Idee, ist gestört, sondern die Gesellschaft, die ihn verrückt macht und anschließend einsperrt. Die zweite, zu ihren Zeiten weniger auffällige, heute jedoch hervorstechende Pointe ihrer Geschichte ist, dass sie lauter Leserinnen und Leser zusammenbringt: Menschen, denen die Literatur letzte Zuflucht oder einziger Ausweg ist; die sich kennen und lieben lernen, indem sie zu den Büchern des anderen greifen und dabei dessen Charakter aus den im Buch hinterlassenen Spuren und Notizen herauslesen.
Neben ihrer Tätigkeit als Rezensentin veröffentlicht Mary in Johnsons Verlag Erziehungs- und Frauenratgeber und betätigt sich auf dem heiß umkämpften Übersetzungsmarkt, wo seinerzeit noch die Maxime galt: Wer zuerst fertig ist, verkauft auch zuerst. Mehr als die Schnelligkeit des Übersetzers zählt nur noch sein Geschick, das Originalwerk den Marktbedürfnissen der Zielsprache anzupassen. Werktreue ist ebenso ein Fremdwort wie Lizenzvertrag. Eine von Marys »Übersetzungen« wird immerhin ein Bestseller: 1790 erscheint das moralische Elementarbuch des sächsischen Aufklärungspädagogen Christian Gotthilf Salzmann auf Englisch. In demselben Jahr holt Mary zu ihrem ersten publizistischen Coup aus: Als Edmund Burke, seit mehr als zwanzig Jahren Abgeordneter des Britischen
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